Am 14. April äußert sich Kollege Konrad Paul Liessmann im STANDARD ausführlich über das "schöne Scheitern" als einer "Pädagogik des Misslingens", nicht ohne einen Seitenhieb auf die Bildungswissenschaft auszuteilen: "Die Thematisierung des Scheiterns im Bereich der Bildung und Pädagogik" sei "ein Tabu". Als anekdotische Evidenz wird angefügt, "renommierte Erziehungswissenschafter" hätten die Teilnahme an seiner Vorlesungsreihe zum Thema abgesagt, da Scheitern in ihrem Forschungskontext nicht vorkomme.

Nun hätte schon ein Blick in das Vorlesungsverzeichnis des Instituts für Bildungswissenschaft genügt, um festzustellen, dass dort "Scheitern" in allen seinen individuellen, sozialen, institutionellen und gesellschaftlichen Formen bearbeitet wird. Selbst die "Potemkin'schen Bildungsdörfer" sind dort schon ebenso präzise beschrieben worden wie die Tatsache, dass das "Scheitern der einen Voraussetzung des Erfolgs der anderen" sei. Das ist kein Zufall, hat doch das Thema gerade diese Disziplin seit ihren Ursprüngen intensiv beschäftigt. Dass es daneben auch naive Erfolgsversprechen aller Art gab und gibt, unterscheidet die Pädagogik nicht von der Fülle nicht weniger glückverheißender Philosophien.

Interessant an diesem Vorgang ist denn auch nicht die fehlende Fachkenntnis, sondern eher die Frage, warum eine Zeitgeist-sensible Philosophie sich dieses Themas gerade jetzt bemächtigen will, hat sie doch eine einträgliche Tradition, zu erahnen, welche Diskursbedürfnisse als nächste befriedigt werden sollen. Seit Nietzsches Tiraden "Über die Zukunft unserer Bildungs-Anstalten" war dieses Philosophieren Begleitmusik zweier oft miteinander verknüpfter Krisenbewegungen.

Eine regelmäßige Klage

Zum einen taucht die Klage regelmäßig auf, wenn sich ein Scheitern breit angelegter Gesellschafts- oder Bildungsreformen abzeichnet. Dass es um diese in Österreich zurzeit nicht gut bestellt ist, bestätigt die marode Bildungspolitik. Da hilft es den Zustandsbewahrern, das Scheitern als Normalität nicht zuletzt aller pädagogischen Anstrengungen wiederzuentdecken. Warum sich beispielsweise über Kürzungen in Pflicht- oder Berufsschulen aufregen, wenn dort eh nur vergebliches Mühen vorherrscht?

Zum andern verbindet sich diese Klage wie schon bei Nietzsche mit der Angst des Bildungsbürgertums, seinen Vorsprung durch Bildung nicht mehr wahren zu können. Dies Lob des Scheiterns fällt in Kreisen leicht, die den Folgen wirklichen Scheiterns in der Gesellschaft kaum ausgesetzt sind. Man kann sich genussvolles Scheitern leisten und zugleich den eigenen Vorsprung vor jenen rechtfertigen, die bloß banal an der Wirklichkeit des Bildungsbetriebs zerschellt sind.

Deswegen nimmt es auch nicht wunder, dass in diesen Lobreden über das Scheitern nicht zwischen schönem und unschönem, notwendigem und vermeidbarem Scheitern unterschieden wird. Die Mühen der Ebene, wie in der inhärenten Dialektik des Scheiterns Bildung und Erziehung empirisch zustandekommen, interessiert große Geister ja nicht wirklich. Deswegen bedarf es der bestenfalls auf Unkenntnis beruhenden Seitenhiebe auf die pädagogische Zunft. Nur so lässt sich dieser Diskurs als kunstvollere Variante des in Österreich ohnehin schon beliebten Lehrer-Bashings inszenieren: Seht her, wie naiv jene doch sind, die immer noch glauben, in Sandkästen und in Klassenzimmern wäre Bildung möglich. Der frei schwebende Zeitgeist weiß dagegen, dass wahre Bildung trotz und nicht wegen Pädagogik zustandekommt, vorzugsweise in philosophischen Höhenflügen. Dort lässt sich dann elegant und faktenfrei über das Elend der anderen sinnieren.(Stephan Thomas Hopmann, DER STANDARD, 22.4.2014)