Einige Fahrgäste kritisieren mangelnde Informationen an den Stationen im Notbetrieb der Wiener Linien.

Foto: David Krutzler

Wien - Der Protest ließ sich zum Beispiel für einen ausgedehnten Spaziergang in den frühen Morgenstunden nutzen. "Ich habe sieben Kilometer hinter mir", berichtet eine Dame am Westbahnhof, die auf ihren Arbeitsplatz im gegenüberliegenden Sophienspital zusteuert. Um halb sechs Uhr morgens ist sie von ihrer Wohnung im 12. Bezirk losmarschiert, eine dreiviertel Stunde war sie zu Fuß unterwegs. "Ein bisschen gebetet habe ich unterwegs schon", sagt sie. Man höre schließlich auch immer wieder von Überfällen, in der Nacht, auf der Straße. Passiert ist übrigens nichts. "Aber mir ist jetzt vom Gehen ziemlich warm", erzählt sie ihren Arbeitskollegen.

Für den Großteil der Menschen, die ihren frühmorgendlichen Weg zur Arbeit wegen der Betriebsversammlung der Wiener-Linien-Mitarbeiter umplanen mussten, war ein Spaziergang keine Alternative. "Normalerweise steige ich gemütlich in der U3-Endstation Ottakring ein und in der anderen Endstation wieder aus", erzählt eine Passagierin, die am Westbahnhof herumirrt. Der Nachtbus N49 ließ sie hier stranden. "Heute müsste ich viermal umsteigen, um nach Simmering zu gelangen." Die Dame blickt auf die Uhr. Es ist kurz vor sechs. "Oder ich hole mir noch einen Kaffee und warte eine halbe Stunde, bis die U-Bahn wieder fährt." Wütend ist sie nicht. In die Arbeit würde sie nur ein bisschen zu spät kommen.

Es wird hektischer

Von 4 Uhr bis 6.30 Uhr, dem Zeitraum der Betriebsversammlungen, haben die Wiener Linien an diesem Mittwoch auf Notbetrieb umgestellt: 167 private Buschauffeure sind auf 20 Linien des Nachtbus-Netzes unterwegs. Einige Busse sind gut gefüllt, in anderen fahren nur eine Handvoll Gäste mit. In Nachtbussen entlang dem Gürtel drängt es sich um halb sechs Uhr morgens ordentlich. Das Schlichten im Bus passiert ohne Murren. Für den Protest der Wiener-Linien-Mitarbeiter, die nach Angriffen von aggressiven Fahrgästen mehr Sicherheit in den Fahrerkabinen sowie Videoüberwachung fordern, gibt es großteils Verständnis. "Wann war der letzte Protest?", fragt ein Fahrgast. "2003? Dann ist das schon in Ordnung." Vor elf Jahren streikten die Wiener-Linien-Mitarbeiter bis 10 Uhr morgens, damals ging es gegen die Pensionsreform.

Gegen 6 Uhr steigert sich das Aufkommen in den Stationen in und um den Westbahnhof. Passagiere, die in die Arbeit wollen, wirken hektischer, einige finden die Anschlussbusse nicht. Ein Mann beklagt den Informationsmangel an der Station, ein privater Buschauffeur bekommt von einer Gruppe wartender Fahrgäste weniger freundliche Worte zu hören. Dass es einen Notbetrieb gibt, davon haben aber fast alle Passagiere im Vorfeld etwas mitbekommen. "Ich habe nur zehn Minuten früher von zu Hause wegfahren müssen, um rechtzeitig in die Arbeit zu kommen", sagt eine Dame.

Wie im Karussell

In und um die Station Simmering ist nicht viel los. Bis 6 Uhr ist der U-Bahn-Abgang gesperrt, dann wird das behelfsmäßige rot-weiße Absperrband von der Stationsleitung entfernt. Bis dahin sind vereinzelt Leute ratlos vor dem Band gestanden. "Maria und Josef", bricht es aus einer Dame um die 50 heraus, als ihr bewusst wird, dass weder Bim noch U-Bahn fährt. Um etwa 6 Uhr stürmen die ersten Menschen die Rolltreppe Richtung U-Bahn hinunter - nur um zu entdecken, dass die Bahn erst in einer halben Stunde fährt. Wie im Karussell fahren sie auf der anderen Seite die Rolltreppe wieder hinauf.

Ab 6.10 Uhr füllen sich die Bahnsteige in den U-Bahn-Stationen. Es sieht wie in den Rushhours aus. Um 6.34 Uhr erfolgt bei der U3 am Westbahnhof die erste Durchsage: Der Fahrbetrieb sei aufgenommen worden, es würde aber noch zu längeren Wartezeiten kommen. Am Bahnsteig drängt es sich immer mehr, die erste U-Bahn um 6.37 Uhr ist bummvoll. Keine Viertelstunde später sind die Menschenmassen bei der U3 und einen Stock oberhalb bei der U6 verschwunden, kurze Intervalle haben sie weggesaugt. Auch bei der Station in Simmering ist alles ruhig. Die Stationsaufsicht meint, dass die Fahrgäste ganz entspannt gewesen seien und nicht einmal viel gefragt hätten: "Ist doch auch was Schönes, wenn etwas einmal funktioniert."

Fahrer bekommen Pieps-Alarm

Answer Lang, Sprecher der Wiener Linien, bestätigte, dass der Notbetrieb "gut angenommen" worden sei. Er sei aber "nicht überlaufen". Die Personalvertreter der Wiener Linien nützten die Betriebsversammlungen für mehr Sicherheit, um einen Teil des Fahrpersonals mit tragbaren Pieps-Alarmen für den Notfall auszustatten. In den nächsten Tagen wolle man mit der Geschäftsführung verhandeln. Die Kritik von Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ), der den Öffi-Ausfall als geeignetes Protestmittel hinterfragt hatte, konnte Betriebsratschef Kurt Wessely nicht nachvollziehen. "Für uns gab es keine andere Möglichkeit." (Bianca Blei, David Krutzler, derStandard.at 23.4.2014)