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Mahnwache vor dem Haydarpasa-Bahnhof in Istanbul: Türken und Armenier hielten Porträts von Genozid-Opfern hoch. Von Haydarpasa gingen 1915 die ersten Züge mit deportierten Armeniern ab. 

Foto: APA/EPA/Suna

Ankara/Eriwan - Ein einzelnes Bild hat wieder viel kaputt gemacht, so schien es am Gedenktag zum Völkermord an den Armeniern am Donnerstag. Nur Stunden nachdem sich Tayyip Erdogan als erster türkischer Regierungschef an die Enkel der 1915 getöteten Armenier gewandt und ihnen sein Beileid ausgesprochen hatte, zündeten armenische Jugendliche vor dem Genozid-Museum in Eriwan eine türkische Fahne an. Die Bilder gingen über die Internetseiten türkischer Zeitungen und durch die Nachrichtensender. Für nationalistische Türken nur eine Bestätigung, dass ihr Premier zu weit gegangen war.

"Die Ereignisse des Ersten Weltkriegs sind unser geteiltes Leid", hieß es in einer Erklärung, die am Mittwoch, einen Tag vor dem Gedenktag, auf der Webseite des Premierministeramts veröffentlicht worden war: "Es ist unbestreitbar, dass die letzten Jahre des Osmanischen Reichs eine schwierige Periode waren, voll des Leids für türkische, kurdische, arabische, armenische und Millionen anderer osmanischer Bürger, ungeachtet ihrer Religion und ihrer ethnischen Abstammung."

Erdogan nahm in dem Kondolenzschreiben die Formel vom "geteilten Leid" auf, die sein Außenminister Ahmet Davutoglu bereits seit längeren benutzt. Davutoglu, ein Geschichtsprofessor, hat bei verschiedenen Anlässen unter anderem die Vertreibung und die Massaker an den Armeniern mit dem Schicksal osmanischer Muslime auf dem Balkan zum Ende des Ersten Weltkriegs gleichgesetzt.

"Pflicht der Menschlichkeit"

"Es ist eine Pflicht der Menschlichkeit anzuerkennen, dass die Armenier der Leiden dieser Zeit erinnern, genau wie jeder andere Bürger des Osmanischen Reichs", hieß es weiter in der Erklärung Erdogans. Sie wurde in acht Sprachen übersetzt, darunter auch in Spanisch, Arabisch, Ost- und Westarmenisch - das eine im heutigen Armenien gesprochen, das andere eher unter den Angehörigen der Diaspora.

Erdogans Erklärung wurde von Kommentatoren in der Türkei ganz überwiegend positiv aufgenommen und beherrschte alle Titelseiten. Erdogan habe wohl nicht das gesagt, was die Armenier erwarten, aber das Schreiben sei ein bedeutender Mentalitätswechsel für die Türkei, schrieb etwa Murat Yetkin.

Kritik kam vom Chef der rechtsnationalistischen Partei MHP, einer wichtigen Oppositionskraft. Erdogans "Lügenbotschaft" zu den "Ereignissen" von 1915 verärgere die nationalen Herzen, erklärte Devlet Bahceli. Der Regierungschef habe sich der Aufforderung durch die USA zu Anerkennung des "Genozids" gebeugt. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu wertete Erdogans Erklärung als PR-Aktion; der Premier wolle sein Image aufpolieren.

Wegen des herannahenden 100. Jahrestags sieht sich die Türkei bereits unter erheblichem internationalen Druck. Der 24. April 1915 ist zum Gedenktag für den Völkermord geworden, bei dem nach armenischer Lesart 1,5 Millionen Menschen umgebracht wurden; die Türkei geht von 300.000 Opfern aus und streitet ab, dass es sich um eine planmäßige Vernichtung armenischer Bürger gehandelt habe. Am 24. April 1915 hatte der damalige Innenminister Talat Pascha die Verhaftung und den Abtransport führender Vertreter der armenischen Gemeinschaft in Istanbul in Lager nach Anatolien angeordnet. Die Mehrheit wurde nach der Ankunft umgebracht.

Armeniens Staatspräsident Serge Sarkissian erwähnte nicht die Beileidsadresse Erdogans in seiner offiziellen Erklärung zum Gedenktag. Sein Stabschef im Präsidentenamt, Vigen Sarkissian, wies sie jedoch mit deutlichen Worten zurück: Erdogans Erklärung sei "vielleicht ein fortentwickelter Ausdruck der Leugnung des Völkermords". Ähnlich äußerte sich Hayk Demojan, der Direktor des Genozid-Museums in Eriwan. (Markus Bernath, DER STANDARD, 25.4.2014)