Bild nicht mehr verfügbar.

"Derzeit enthält der Staat dem Bürger zu viele Informationen vor", sagt Josef Barth.

Foto: APA/Pfarrhofer

Der ehemalige "Profil"-Journalist Josef Barth, Träger des Concordia-Preises für Pressefreiheit 2013 und Initiator der Kampagne tranzparenzgesetz.at, die sich für die Abschaffung des Amtsgeheimnisses einsetzt, stellt der Pressefreiheit in Österreich kein gutes Zeugnis aus. Das Land habe "ein Öffentlichkeitsproblem", die Informationsverweigerung der Behörden müsse auch von Journalisten stärker thematisiert werden, sagt Barth. Denn: "Informationen sind kein Almosen, sondern Bürgerrecht."

derStandard.at: Auf einer Schulnotenskala von Eins bis Fünf: Wie würden Sie die Pressefreiheit in Österreich beurteilen?

Barth: Schulnoten werden von Lehrern verteilt, das ist nicht mein Job. Aber als ehemaliger Journalist kann ich sagen: Es steht gar nicht so gut, wie es vielleicht aussieht. Auch wenn sich viele dessen nicht bewusst sind. Denn für wirkliche Pressefreiheit braucht es wirkliche Informationsfreiheit. Wer die Fakten berichten soll, muss sie auch recherchieren dürfen. Darum braucht es auch endlich ein Gesetz, das das erlaubt – ohne fragwürdige Einschränkungen. In diesem Punkt ist Österreich im internationalen Ranking leider immer noch an letzter Stelle.

derStandard.at: Nun gibt es von der Regierung einen Gesetzesentwurf, der Informationsfreiheit gewährleisten soll. Wird sich der Zugang zu Informationen in Österreich also in absehbarer Zeit verbessern?

Barth: Die schwammigen Ausnahmeformulierungen im Entwurf würden es den Behörden weiterhin ermöglichen, in erster Instanz Informationen zu verweigern, und es für den Bürger nötig machen, die Republik in jedem einzelnen Fall zu klagen. Die von der Regierung geplante Zersplitterung auf die Bundesländer würde es den Landeshauptleuten ermöglichen, eigene Ausnahmen in jedem Bundesland zu beschließen. Das ist ein Amtsgeheimnis 2.0 quasi durch die Hintertür.

derStandard.at: Sie haben einmal gesagt, die Frage, was Sie von den Behörden wissen wollten, wennn es das Informationsfreiheitsgesetz in Österreich gäbe, gefalle Ihnen nicht. Warum?

Barth: Weil es einer Beweislastumkehr gleichkommt: Nicht der Bürger muss sich rechtfertigen, was er warum wissen will. Sondern die Behörde muss sich rechtfertigen, auf welcher Rechtsgrundlage sie die Information verweigert. Das nennt man Rechtsstaat. Derzeit enthält der Staat dem Bürger zu viele Informationen vor. Und wenn man noch dazu nicht genau weiß, welche Informationen sich hinter den Mauern des Schweigens verbergen, weiß man auch nicht genau, wonach man eigentlich fragen könnte. Das ist auch ein demokratiepolitisches Problem. Denn: Nur der informierte Bürger kann auf Fakten basierende politische Entscheidungen treffen.

derStandard.at: Das Amtsgeheimnis ist also niemals legitim?

Barth: Immer, wenn ein Journalist oder eine Journalistin auf eine Behördenanfrage die Antwort bekommt: "Das sagen wir nicht", sollte man die Frage stellen: warum? Meistens bekommt man dann drei Gründe genannt: Verschwiegenheitspflicht, Datenschutz, Amtsgeheimnis. Diese Argumente werden oft nur vorgeschoben, um keine Antwort geben zu müssen. Entweder aus Angst, sonst eine auf den Deckel zu bekommen, oder aus Kalkül, mit der eigenen Politik schlecht dazustehen und darum lieber zu zensurieren. Die Grenzen des persönlichen Datenschutzes haben wir immer respektiert. Es braucht jedoch die Abwägung durch eine unabhängige, kompetente Stelle, ob der auch wirklich vorliegt oder ob hier das öffentliche Interesse überwiegt.

derStandard.at: Nun haben Sie die NGO Forum Informationsfreiheit gegründet. Was bezwecken Sie damit?

Barth: Wir wollen eine zentrale Organisation in Österreich schaffen, die das Auskunftsverhalten von Behörden aufzeigt, die interessierte Bürger und recherchierende Journalisten dabei unterstützt, zu ihrem Recht zu kommen, und die kontrolliert, ob die Informationsfreiheitsgesetze so sind, wie sie sein sollten. Um auf eine Behördenanfrage wirklich brauchbare Antworten zu bekommen, braucht man drei Dinge: Wissen, Zeit und Geld. Vor allem dann, wenn man – wie so oft – auf die erste Anfrage einmal eine negative Antwort bekommt. Da beginnt der Kampf erst. Und es ist ein ungleicher: Denn von allen drei Dingen hat der Einzelne weniger als die Behörde. Derzeit kämpft jeder alleine und damit oft auf aussichtslosem Posten. Dieses Know-how aus all diesen Verfahren wollen wir bündeln, um die Chancen jedes Einzelnen zu steigern und die Behörden generell zu mehr Transparenz zu bewegen.

derStandard.at: Was nützt es, das Auskunftsverhalten der Behörden aufzuzeigen?

Barth: So kann man eine Systematik ablesen. Zuletzt wurde das sichtbar, als eine Tiroler NGO Auskunft bekommen wollte, inwieweit ausländische Staatsbürger Grundstücke im jeweiligen Bundesland kaufen dürfen. Acht Bundesländer haben die gleiche Frage beantwortet, Tirol nicht. Wir wollen für Bürger, aber auch für Journalisten bei der ersten Anfrage eine niedrigschwellige Unterstützung anbieten. 

derStandard.at: Warum meinen Sie, dass Journalisten Unterstützung benötigen?

Barth: Der Journalist kennt sich in der Sache aus und sollte sich nicht damit aufhalten müssen, die rechtlichen Möglichkeiten von sich aus auszuschöpfen. Es macht Sinn, wenn eine zentrale Stelle Kompetenzen aufbaut und eventuell sogar Verfahren für ihn führen kann. Die Tiroler NGO musste durch alle Instanzen gehen, bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, und neun Jahre auf ein Urteil warten. Weder Bürger noch Journalisten haben so lange Zeit. Ein Jahrzehnt auf eine Auskunft einer Behörde zu warten ... das hat mit Demokratie nichts mehr zu tun.

derStandard.at: Wie wollen Sie diese Organisation finanzieren?

Barth: Wir denken, dass vor allem journalistische Organisationen ein Interesse an einer zentralen Stelle haben müssten, die dafür sorgt, dass sie ihren Job besser erledigen können. Aber auch Menschenrechtsorganisationen und andere NGOs. In den USA gibt es eine solche journalistische NGO, die ich vor wenigen Monaten in Washington besucht habe: sunshineingovernment.org wird von der Associated Press, Zeitungen und Verlagen finanziert und unterstützt sie dabei, zu ihrem Recht auf Information zu kommen. Sie achtet zudem darauf, dass das Recht auf Information nicht beschnitten wird. Und das wurde schon versucht: In den 90er-Jahren wurde in einem Budgetgesetz ein Passus versteckt, der den amerikanischen Freedom of Information Act ausgehebelt und fast österreichische Zustände hergestellt hätte. Die Verleger konnten den damaligen Präsidenten Bill Clinton gerade noch dazu bringen, sein Veto einzulegen. Damit war klar: Solche NGOs machen Sinn.

derStandard.at: Hört man Ihnen zu, möchte man fast den Eindruck gewinnen, als sei der Informationsfluss von Politik und Behörden zu den Medien gänzlich abgeschnitten.

Barth: In Österreich haben wir das Problem, dass sehr viele Informationen, die Journalisten erhalten, auf Hörensagen beruhen. Man ruft einen Pressesprecher oder einen Politiker an und bekommt eine mündliche Information. Das Wichtigste am Informationsfreiheitsgesetz ist jedoch, dass es Einsicht in das vollständige Dokument, also in die Primärquelle ermöglicht. Viele Informationen, die von der politischen Seite mündlich weitergereicht werden, sehen plötzlich ganz anders aus, wenn man sich selbst ein umfassendes Bild in den dazugehörigen Akten macht.

derStandard.at: Dann und wann gelangen Dokumente zu den Journalisten, die aus heutiger Sicht der Amtsverschwiegenheit unterliegen.

Barth: Ja, aber mit dem Verweis: "Von mir hast du es nicht." Es gibt in Österreich eine Informationsaristokratie. Innerhalb dieser werden ausgewählte Dokumente an ausgewählte Journalisten weitergegeben; da spielt das Amtsgeheimnis dann plötzlich keine Rolle mehr. Man muss sich allerdings an die Spielregeln halten. Wehe, man beruft sich auf das Auskunftsrecht. Das wird als Affront empfunden, und plötzlich ist man nicht mehr Teil des Spiels, wird aus dem Kreis der Informationsaristokratie ausgeschlossen und erhält die Dokumente eben nicht mehr. Zumindest ist das die Angst.

derStandard.at: Mit dem Weitergeben von Informationen unter der Hand soll also Schluss sein?

Barth: Mit der politischen Filterung von Informationen, die uns allen zustehen, soll Schluss sein. Wenn ich ein Recht auf Information habe, sollte das auch zugestanden werden. Wird die Auskunft verweigert, soll das die Behörde offiziell begründen, und die Medien sollen transparent machen, welche Behörde aus welchen Gründen Informationen verweigert hat. Wirkliches Leaking sollte nur dort Geltung haben, wo es sich um wirkliches Whistleblowing handelt. Dieses Land hat ein Öffentlichkeitsproblem, die Informationsverweigerung muss thematisiert werden. Informationen sind kein Almosen, sondern Bürgerrecht.

derStandard.at: Ihr Rezept?

Barth: Journalisten müssen endlich auf ihr Recht pochen. Und dafür muss man auch bereit sein, es einzufordern und durchzusetzen. In den USA erzwingen Reporter der "New York Times" die Herausgabe von Dokumenten der Regierung zum Drohneneinsatz vor Gericht. Auch in Österreich sollten mehr Journalisten den Mut haben zu sagen: Wir spielen das Spiel nicht mehr mit – und damit die Pressefreiheit nicht als Almosen, sondern als ein Recht begreifen, das nur durch eigenes Handeln mit Leben erfüllt werden kann. Egal, wem man damit vielleicht auf die Zehen steigt.

derStandard.at: Wer braucht das Forum Informationsfreiheit noch, wenn das Informationsfreiheitsgesetz kommt?

Barth: Das Schönste wäre, wenn ein Gesetz käme, das uns überflüssig macht. Nach dem derzeitigen Entwurf ist diese Gefahr leider nicht gegeben. Aber vielleicht haben die verantwortlichen Politiker ja noch ein Einsehen. Man muss immer das Beste hoffen, aber mit dem Schlimmsten rechnen. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 2.5.2014)