Die Reformpläne zur Strafprozessordnung von Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) werden von Richtern und Rechtsanwälten weitgehend begrüßt - aber das neue Mandatsverfahren geht ihnen zu weit. Die Staatsanwälte stehen dem Zeitlimit für Ermittlungen skeptisch gegenüber. Eine "strikte Frist" ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls würde die Staatsanwälte-Vereinigung ablehnen.

Diese scheine aber nicht gegeben, sagte Martin Ulrich, Präsidiumsmitglied der Vereinigung Österreichischer Staatsanwälte. Denn Brandstetters Entwurf erlaubt nach drei Jahren die Verlängerung der Ermittlungen durch das Gericht, wenn triftige Gründe vorliegen. Ob die geplante Regelung ermöglicht, ausreichend auf den Einzelfall einzugehen, müsse man sich aber noch genau anschauen. Genau prüfen will Ulrich auch, ob sie mit dem Anklagegrundsatz vereinbar ist. Er stellt aber den Sinn der Neuregelung in Frage: Sie werde Verfahren nicht beschleunigen. Denn Staatsanwälte würden sich ohnehin bemühen, Ermittlungen so rasch wie möglich abzuschließen. Wichtig für raschere Verfahren seien ausreichend Kapazitäten.

Mehrbelastung für Richter

Die Richtervereinigung hat mit dem Zeitlimit kein Problem. Auch im Hinblick auf die Belastungen für den Verdächtigen sei der Abschluss von Ermittlungen binnen drei Jahren - wenn möglich - geboten, sagte Präsident Werner Zinkl. Eine große Mehrbelastung für die Richter - die über Verlängerungen entscheiden müssen - erwartet er nicht; die große Mehrzahl von Ermittlungen dauert nicht so lange. Aber grundsätzlich könne jede Neuerung nur gelingen, wenn ausreichend Personal vorhanden ist. Dafür ist noch Zeit: Das Zeitlimit wird erst 2018 wirklich schlagend. Es soll am 1. Jänner 2015 in Kraft treten, aber erst für die danach aufgenommenen Ermittlungen gelten.

Freiheitsstrafe ohne Verfahren

Nicht zufrieden ist Zinkl - ebenso wie Rechtsanwälte-Präsident Rupert Wolff - mit dem geplanten Mandatsverfahren für kleine Delikte. Brandstetter habe damit zwar eine Forderung der Richterschaft aufgenommen, aber das Vorhaben gehe zu weit, ist Zinkl auch verärgert, dass der Justizminister seinen Plan präsentiert habe ohne vorher Gespräch mit den Standesvertretern zu sprechen.

Der Entwurf sieht vor, dass Verfahren bei kleinen Delikten (mit Strafdrohung von Geldstrafe oder maximal einem Jahr Freiheitsstrafe), wenn der Beschuldigte geständig und damit einverstanden ist, ohne mündliche Verhandlung mit einer Strafverfügung des Richters beendet werden. Für Zinkl ist es bedenklich, "wenn eine längere Freiheitsstrafe ohne Verfahren per Strafverfügung verhängt werden kann". Wichtig sei in jedem Fall eine "wirklich verständliche Belehrung" sein, dass die Strafverfügung - anders als die Einstellung durch Diversion - bedeutet, vorbestraft zu sein.

"Schnellverfahren nehmen Stück Rechtsstaat weg"

Wolff steht dem ganzen "Schnellverfahren" skeptisch gegenüber. Nur um Verfahren schnell zu Ende zu bringen und Gerichte zu entlasten "nimmt man ein Stück Rechtsstaat weg". Aber "ein Rechtsstaat muss es sich leisten, in einem geordneten Verfahren über das Schicksal seiner Bürger zu entscheiden".

Abgesehen davon ist Wolff aber voll des Lobes: "Im Großen und Ganzen muss man dem Minister gratulieren, das ist eine gelungene Novelle." Viele Forderungen der Anwälte würden umgesetzt. Vor allem die neue Sachverständigen-Regelung begeistert Wolff: Damit könne der Sachverständige des Angeklagten schon bei der Anklage Stellung nehmen, sitze in der Hauptverhandlung neben dem Verteidiger und habe ein Fragerecht. "Das ist gut, das schafft mehr Rechtsstaatlichkeit."

Mehr Rechtsstaatlichkeit bringt aus seiner Sicht auch das Zeitlimit für die Ermittlungen. Die Abgrenzung zwischen bloß Verdächtigen und Beschuldigten nehme öffentlicher Vorverurteilung etwa bei anonymen Anzeigen die Spitze. Dass es wieder einen zweiten Berufsrichter in großen Schöffenverfahren geben soll, begrüßt Wolff - hätte da aber gern auch ein Antragsrecht für die Verteidiger. Die Verdoppelung des Anwaltskostenersatzes bei Freispruch sei ein "erster Schritt in die richtige Richtung". 

Grüne sehen Zeitlimit kritisch

Der Grüne Justizsprecher Albert Steinhauser steht einem Dreijahres-Limit für staatsanwaltliche Ermittlungen skeptisch gegenüber - und auch der Verhängung unbedingter Haft ohne mündliche Verhandlung.

Was das Zeitlimit für die Staatsanwälte in Strafverfahren betrifft, verwies er darauf, dass die meisten Ermittlungen ohnehin weniger als drei Jahre dauern. Überschritten werde diese Frist nur, wenn Ressourcen fehlen oder Fälle besonders komplex sind. "Würden dann mangelnde Ressourcen zur Einstellung von Strafverfahren führen, wäre das eine Bankrotterklärung des Rechtsstaats." Außerdem werde es bei Wirtschaftscausen keine Beschleunigung bringen - denn die Komplexität werde wohl eine Verlängerung durch den Richter zur Folge haben.

Am Mandatsverfahren missfällt Steinhauser, dass "Verurteilungen zu Haftstrafen dann praktisch über einen Strafzettel möglich wären". Bei unbedingten Haftstrafen sollte sich aber ein Richter jedenfalls einen persönlichen Eindruck vom Täter machen.

Alles andere als begeistert von dem Mandatsverfahren für kleinere Delikte ist auch die FPÖ. Dieser Vorschlag sei rechtsstaatlich problematisch. Mit einer Strafdrohung bis zu einem Jahr Haft seien von Brandstetters Vorschlag auch Delikte wie Raufhandel, Körperverletzung, fahrlässige Tötung, Nötigung, Diebstahl, Unterschlagung, Betrug, Stalking oder Sachbeschädigung erfasst. Diese "mit Organstrafmandaten, ähnlich wie bei Verkehrssündern" zu ahnden - und dabei ohne Prozess Haft bis zu verhängen - hält Justizsprecher Harald Stefan für falsch. Der Richter würde "einfach nach Katalog aburteilen", ohne den Beschuldigten zu Gesicht zu bekommen. (APA, 8.5.2014)