In seiner Eröffnungsrede zum "Kongress der Europäischen Verfassungsgerichte" hat VfGH-Präsident Gerhart Holzinger am Montag die Verfassungsrichter aufgerufen, sich nicht von politischem Druck beeinflussen zu lassen. Bundespräsident Heinz Fischer betonte, dass politische Opportunität in verfassungsgerichtlichen Entscheidungen keinen Vorrang vor rechtlichen Überlegungen haben dürfe.

Zu dem Kongress sind 32 Präsidenten von Verfassungsgerichten und die Präsidenten der beiden Europäischen Gerichtshöfe in die Wiener Hofburg gekommen. Von den 40 Mitgliedsstaaten sind nur zwei nicht anwesend. Die Ukrainer, deren Vertreter angesichts der Situation in ihrem Land nicht nach Wien kommen wollten, und Dänemark wegen einer Terminkollision. Bis Dienstag wird über die Kooperation der Verfassungsgerichte in Europa beraten.

Spannungen

Holzinger verwies in seiner Eröffnungsrede darauf, dass die korrekte und wirksame Wahrnehmung der den Verfassungsgerichten übertragenen Aufgaben immer wieder zu Spannungen, insbesondere mit anderen Staatsorganen, führe. Als Beispiel nannte der VfGH-Präsident die Türkei, aber auch in anderen Ländern sei in den vergangenen Jahren auf das jeweilige Verfassungsgericht in ähnlicher Weise Druck ausgeübt worden.

"Davon dürfen wir uns nicht beirren lassen. Es liegt nun einmal im Wesen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle, dass sie insbesondere von den Regierenden mitunter als unbequem und störend empfunden wird, was entsprechende Reaktionen auslöst. Davor dürfen wir uns nicht fürchten! Davon darf sich ein Verfassungsgericht weder beeindrucken, noch beeinflussen lassen. Dieser Herausforderung muss es sich stellen, wenn es seiner Aufgabe, die Grundrechte des Einzelnen zu schützen und die Verfassungsmäßigkeit staatlichen Handelns zu gewährleisten, gerecht werden soll", betonte Holzinger.

Fischer: "Gratwanderung zwischen Recht und Politik"

Auch Fischer verwies darauf, dass jede Form der Verfassungsgerichtsbarkeit eine "Gratwanderung zwischen Recht und Politik" bedeute und es Konflikte zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und Politik "wohl immer" geben werde. "Kritik muss zulässig sein; ein Verfassungsgericht ist kein überirdisches Wesen, sondern ein Verfassungsorgan wie viele andere", betonte der Bundespräsident. Gleichzeitig strich auch er heraus, dass es Möglichkeiten gebe, Druck auf ein Verfassungsgericht auszuüben. "Beginnend mit dem Unbesetztlassen von Richterstellen über eine gezielte und massive Herabsetzung von Altersgrenzen bis zur unverhohlenen Drohung mit persönlichen Konsequenzen. Ein Verfassungsgericht kann aber auch mit Hilfe von juristischen Tricks ausgeschaltet werden, wie wir dies leider in Österreich im Jahr 1933 erlebt haben."

Nach Ansicht Fischers sollte sich das Verfassungsgericht auch "stets der Konsequenzen seiner Entscheidungen bewusst sein, freilich nur insoweit, als dies mit seiner verfassungsrechtlichen Aufgabe vereinbar ist. Politische oder sonstige Opportunität darf jedenfalls keinen Vorrang vor rechtlichen Überlegungen erhalten. Jede Entscheidung des Verfassungsgerichts kann zur Waffe in der politischen Auseinandersetzung, insbesondere zwischen parlamentarischer Mehrheit und Opposition werden", formulierte der Bundespräsident.

Die Konferenz der Europäischen Verfassungsgerichte besteht seit mehr als 40 Jahren. 1972 waren die Verfassungsgerichte Deutschlands, Italiens, des früheren Jugoslawiens und Österreichs in Dubrovnik erstmals zu einem Kongress zusammentraten. Seither entwickelte sich diese Konferenz zu einem Forum von paneuropäischer Dimension, das heute 41 Mitglieder zählt. Die bis Dienstag in der Hofburg tagende Konferenz wird sich mit dem Thema der Kooperation zwischen den nationalen Verfassungsgerichten und den Gerichten auf europäischer Ebene befassen, und damit die entscheidende Zukunftsperspektive der Verfassungsgerichtsbarkeit in Europa behandeln, wie Holzinger, der Präsident des österreichischen Verfassungsgerichtshofes, des ältesten der Welt, erläuterte. (APA, 12.5.2014)