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"Oh my Buddha!", ruft er vor Erleichterung und Verzweiflung.

Foto: APA/EPA/Rungroj Yongrit

Regel Nummer eins im Dschungel: Nie die Orientierung verlieren! Was macht man aber, wenn zwar nicht die Orientierung, aber der Guide abhanden kam? Eine halbe Stunde ist es her, seit Yut die Truppe vorausgeschickt hat: Geradeaus und dann rechts abzweigen, lautet Yuts Direktive. Sein Bauch verlangt Erleichterung, also zweigt er links ab. Die abenteuerlustige Dreiergruppe marschiert im Dickicht fröhlich drauflos, wartet guten Glaubens bei der nächsten Abzweigung.

Es ist kein schlechter Platz zum Warten. Die dichten Bambuswälder schenken Schatten in der brütenden Nachmittagshitze. Sanft rascheln die Blätter, wenn der Wind durchstreicht. Vögel zwitschern, krächzen, quieken und schreien durcheinander, versteckt im himmelhohen Geäst. Schmetterlinge flattern den Weg entlang. Die Wegkreuzung liegt auf einer kleinen Anhöhe, durch das Blattwerk öffnet sich der Blick auf prächtige Mischwaldhänge.

Rund 70 Kilometer nördlich von Chiang Mai erstreckt sich der Nationalpark Chiang Dao auf rund 1100 Hektar. Drei Stunden braucht man von der Metropole des Nordens bis hierher, nicht eingeschlossen ein Zwischenstopp in einer der vielen Kleinstädte mit einem Markt, der alles bietet, was die Wanderer brauchen - und nicht brauchen: Wasser, Reis, Karotten, Gurken, Ananas, Frösche am Spieß, gut geöffnete Entenbäuche, daneben kleine Häufchen von nicht näher definierbaren Tiereingeweiden. Yut findet noch mehr: "Wie Schokolade", hält er das Säckchen mit den haarigen Maden auf und schaufelt die Dinger schmatzend und grinsend rein. Das hat er nun davon.

Fotogierige Touristen

Ziel des Treks ist der Chiang Dao, mit 2175 Metern Thailands dritthöchster Berg. Ein langer, bewaldeter Kamm, der abschnittweise verbrannte Erde freigibt. Doch im Moment sieht es nicht gut aus, den Gipfel zu erreichen. Vom Headquarter des Nationalparks fährt man eine halbe Stunde ins Innere, eine Stunde sind wir bereits zu Fuß unterwegs. Der Park liegt recht abgelegen, keine Karawanen an fotogierigen Touristen. Was jetzt grad irgendwie blöd ist.

In manchen Monaten möchte man Thailand ja raten, die Grenzen dichtzumachen, so viele Touristen kommen. Knapp 15 Millionen nutzen Sonne, Strand, Meer und die vielen zwielichtigen Angebote, für die Thailand nicht den besten Ruf hat. Die Mehrheit der Besucher des Nordens unterscheidet sich von den Sonnengierigen des Südens, in Massen kommen auch sie. Und weil die Thai Organisationsgenies sind, bietet jedes Hotel, jede Pension, jede zweite Straßenbude in Chiang Mai Trekking an. Das läuft meist nach demselben, unerhört dicht getakteten Schema ab, nach dem es gehetzte Besucher verlangt: Elefantenreiten, Elefantenshow, Floßfahren, Orchideenfarm, Höhle, Buddha-Tempel, Wasserfall. An einem Tag.

In der Höhle mit Buddha-Tempel waren auch wir, am Eingang zum Nationalpark, und staunten über die Figurenpracht und scheinwerferartige Lichteinfälle. Aber hier gibt es die Bewohner der Bergdörfer und sonst nichts. Die Lisu, die wir vor einer halben Stunde passierten, sind die farbenfrohsten, aber auch die wildesten. Mit ihren Mopeds knattern sie, das Gewehr geschultert, die Hänge auf und ab. Sie bauen Hochlandreis und über tausend Meter auch Opium an. Die ersten Lisu kamen in den 1920er-Jahren aus dem damaligen Burma. Heute leben mehr als 40.000 in rund 160 Dörfern. Insgesamt zählt Thailand rund eine Million Angehörige von ethnischen Minderheiten. In den letzten 300 Jahren sind sie über die Berge von Burma, Laos, Tibet und China eingewandert.

Bambusmatten im Hotelbett

Je höher man steigt, umso weniger Bambus, umso mehr Schwarzföhren säumen den Weg. Die Blätter fallen, auch hier auf unserem Warteplatz. Herbststimmung im Februar. Vor uns liegen die Dörfer der Karen und der Lahu, von denen wir nicht wissen, ob wir sie jemals sehen oder ob wir nicht schon heute Abend statt auf Bambusmatten im Hotelbett schlafen.

Ab Juni werden die Regenfälle häufiger, versinken die Dörfer im Schlamm. Die Häuser der Karen und Lahu stehen deshalb auf Stelzen. Gekocht wird am offenen Feuer. Die Häuser der Familien sind eigentlich drei: ein Schlafhaus für die Erwachsenen, eins für die Kinder, die es räumen, wenn Wanderer kommen. Alles aus Bambus, Dach, Boden, Wände, Terrasse. Die Karen sind das zahlenmäßig größte Bergvolk Thailands. Geschätzte 500.000 haben sich über das gesamte Land ausgebreitet. Am bekanntesten ist die Gruppe der Kayan, deren Frauen sich mit schweren Metallringen schmücken. "Langhälse" nennen sie grob Reiseführer und Touristenbroschüren.

Im Dorf der Lahu, sechs Stunden weiter nordöstlich, gibt es für die circa 200 Einwohner genau ein Stromaggregat und Unmengen an Kerzen, die am Abend hell flackern. Nachts ist es kalt, frühmorgens krähen Unmengen an Hähnen mit hartnäckiger Ausdauer. Mensch und Tier - Hühner, Schweine, Kühe, Wasserbüffel - leben auf engem Raum zusammen, gehen ihrem Tagwerk nach. Die Kinder gehen in die Dorfschule, die Frauen setzen sich zu den Feuerstellen, die Männer gehen jagen oder bauen Flöße für die Wanderer.

Handtellergroße, kohlschwarze Schmetterlinge

Aus 20 bis 30 Bambusrohren und dünneren Bambusstreifen binden sie eine zehn Meter lange Plattform. In drei Stunden fahren die Besucher auf dem flaschengrünen Tang River zurück. Yut wird sie sicher durch die Stromschnellen manövrieren, und wenn sich die Landratten nicht ganz ungeschickt anstellen, werden sie sogar auf dem Floß bleiben und nicht ins Wasser fallen. Staunen werden sie über die riesige Baumfarne, die an Baumstämmen kleben, handtellergroße, kohlschwarze Schmetterlinge, Wasserbüffel, die am Fluss stehen und verdutzt den Vorbeifahrenden zuschauen.

Aber wir warten. Eine Viertelstunde, dann kehren wir um. Schlafen im Headquarter oder sonst wo. Der Dschungel - ein andermal. Und plötzlich: Mann mit Strohhut, lila Hemd, blaue Pluderhosen, an der Schulter hängt ein Gewehr. Ein Lisu, und er winkt. Wir, weil es eh schon egal ist, ihm nach. Eine halbe Stunde, in der Hoffnung, dass er uns zu Yut bringt. Mit dem Buschmesser schneidet er Wanderstöcke, das Gewehr hat er weggelegt, um uns nicht zu erschrecken.

Und tatsächlich: Als Yut uns sieht, schmeißt er sich schweißnass auf den Boden. "Oh my Buddha!", ruft er vor Erleichterung und Verzweiflung. Dem Mann des Dschungels wird für seine Dienste überschwänglich gedankt, seiner finanziellen Forderung gerne nachgekommen, im Gegenzug lässt er sich bereitwillig fotografieren. Ein Schluck aus der Flasche. Wir gehen los. (Doris Priesching/Der Standard/rondo/26/03/2010)