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Rotweine aus kühlen Anbaugebieten erweitern das Geschmacksspektrum.

Was Österreich und Deutschland damit zu tun haben, erklärt Luzia Schrampf.

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Sakkos mit Schulterpolstern, so breit, dass man Türstöcke erweitern musste, trägt heute keiner mehr. Auch beim Rotweintrinken wechseln Trinkmoden und Gewohnheiten. Und da bewegt sich im Moment einiges. In den 1990ern lernten Weinfans mit der Internationalisierung, dass ein Top-Roter kohlrabenschwarz zu sein hat, süßlich-fett mit Tannin zum Hineinbeißen. Die Güte glaubte man an den Volumsprozent Alkohol ablesen zu können - nach den dünnen Rotweinjahren der 1980er war mehr damals einfach mehr.

Seit einiger Zeit stehen in international maßgeblichen Bewertungen und auf Weinkarten immer öfter Rotweine ganz vorn, die diesem Schema nicht entsprechen. Sie schmecken deutlich zarter, fruchtig-frisch, mit feinerem Tannin als jene, an die man sich in den 1990ern gewöhnt hatte. In besten Fällen denkt man an Steine und Waldboden. In den Beschreibungen werden Begriffe wie "delikat" und "finessenreich" bemüht, selbst das altvatrische "bekömmlich" drängt sich auf, wenn es einem die Redaktionsraison nicht untersagen würde. "Damit man noch ein zweites Glas davon trinken kann", lautet die Formel, mit der dieser Typ Wein gern beschrieben wird.

Cool Areas

Den Weinen ist eines gemeinsam: Sie kommen aus kühleren Gegenden, Cool Areas, die nicht zuallererst mit Rotwein assoziiert werden. Oft sind es Randzonen für den Weinbau, weit nördlich gelegen oder Gebiete in wärmeren Hügellandschaften, die durch Nebel oder Luftströme abgekühlt werden. Die Geografie in Kombination mit Sorten, die an diese Gegenden angepasst sind, bieten eine spannende Erweiterung des weltweit dominierenden Cabernet-Merlot-Spektrums.

Die Trauben haben in gemäßigtem Umfeld lange Zeit, um unabhängig vom Zuckergehalt vollständig - "physiologisch" - reif zu werden. Das Wechselspiel zwischen warm und kühl sorgt für intensive Fruchtigkeit, während Säure als Frischelieferantin erhalten bleibt. Cool Area kann sich in großen Unterschieden zwischen Tag- und Nachttemperaturen ausdrücken oder über Böden, die wie Schiefer oder Schotter Wärme speichern, um diese in kühleren Zeiten der Nacht oder des fortschreitenden Herbstes wieder abzugeben oder in einer Kombination aus allem.

Genau hier kommen Österreich und Deutschland ins Spiel, deren internationale Reputation auf ihrer Weißweingeschichte beruht. Während der 1990er-Rotweinstil dort nur mit technischen Mätzchen hinzubekommen war, sind die natürlichen Voraussetzungen für Weine des neuen Trinkstils hervorragend.

Deutschland punktet seit einigen Jahren mit Spätburgunder, einer typischen Cool-Area-Sorte. Als Pinot noir ist er für rote Burgunder und als einer von dreien für Champagner "zuständig". Er zählt zu den großen internationalen Klassikern, ist sozusagen das Chanel-Kostüm unter den Rebsorten. Spätburgunder ist hell und durchscheinend. Sein Geschmack ist zart, aber nachhaltig mit rotbeerigen Aromen nach Himbeeren und roten Ribiseln, dazu viele Schichten aus Würze, Erdigkeit und Mineralität. Die bekanntesten Herkünfte sind der Kaiserstuhl in Baden, ein Vulkan-Löss-Kegel auf der Höhe Freiburgs in Südwestdeutschland, und das kleine Gebiet der Ahr, ein Seitenfluss des Rheins zwischen Koblenz und Bonn.

Lokalgrößen

Österreich verfügt mit den "Lokalgrößen" Blaufränkisch oder St. Laurent über zwei Sorten, die perfekt zu den immer noch kühlen hiesigen Bedingungen passen - Klimawandel hin, Rekordsommer her. Blaufränkisch wird heute viel puristischer als noch vor zehn Jahren verarbeitet und darf so schmecken, wie er auf dem jeweiligen Boden eben schmeckt: Steht er auf Schiefer, wird der Wein mineralisch-frisch, auf Lehm voluminöser und würziger. Auf Kalk dominiert saftige Frucht über einem feinen "steinigen" Unterton.

St. Laurent, erdig-würzig mit der Säuerlichkeit von Weichseln und Brombeeren, hat die Grundeigenschaft, selbst bei schönster Sonne nicht endlos Zucker einzulagern. Das pendelt ihn bei 12,5 oder in allerwärmsten Jahren bei 13 Prozent natürlichen Alkohols ein. Und auch das gehört zum Zeitgeist: Geprotze mit maximalen Alkoholwerten ist out. Ausgewogenheit ist gefragt: Und hat ein Wein einmal 14 Prozent, weil es sich z. B. aus dem Jahrgang ergibt, darf er kraftvoll und seidig-dicht, aber nicht wie Weinbrand schmecken. So wie auch Schulterpolster wieder da sind, wenn auch in einer der Zeit angepassten Form. (Luzia Schrampf/Der Standard/rondo/16/04/2010)