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Trendige Bars, Galerien und demnächst eine Design-Plaza von Zaha Hadid gibt es in Seoul neben glasierten Keramikdächern.

Foto: APA/EPA/SEOUL CITY

Wer die Arme nicht zu weit ausstreckt, geschickt aus den Schuhen schlüpft, ohne dabei gegen Kunststoffblumen, Buddhabäuche, Windspielfallen zu prallen, schafft vielleicht den Besuch bei Sinyetchatjip, einem der älteren Teehäuser von Seoul im historischen Viertel Insadong. Hier gleiten die Goldfische im dichten Unterwasser-Kolonnenverkehr zwischen versenktem Nippes hin und her - fast wie die Taxifahrer vor der Tür.

Der Charme eines Trödelladens, ein leises Allzeit-Aroma von grünem Tee - das prägt auch andere Nischen des Traditionsviertels. Pinsel, so groß wie Handbesen, finden Kalligrafiemeister hier, plus verschnörkelter Stromkabel-Kalligrafien in kleinen Seitengässchen als Inspiration. Touristen schwenken Papierdrachen aus Reispapier hin und her, balancieren noch vorsichtiger Südkoreas berühmte, lindgrüne Buncheong-Keramik. Aber Insadong geht auch mit der Zeit: Das "Beautiful Tea Museum" hat die Oolong-Degustationen längst in den glasüberdachten Innenhof verlegt. Und an der Fußgängerzone Insadong-gil wickeln Herren, die in blütenweißen Mänteln, Handschuhen und Atemmasken ein wenig wie Chirurgen wirken, gezuckerte Erdnüsse in haarfeine, weiße Reisfäden - "Drachenbart" heißt die Delikatesse.

Neue Ära in der Geschichte der Stadt

Insadong zählt zu den Pflichterminen einer Seoul-Visite. Aber um das einzige Viertel, das koreanische Tradition in die Auslage stellt, handelt es sich nicht. Anders als in Peking, wo die Stadtverwaltung lieber per Bagger an die Türen der verschachtelten Hutongs anklopft, haben sich im 22-Millionen-Moloch gleich mehrere solcher traditioneller Hanok-Viertel behauptet - und verweisen nun auf eine neue Ära in der Geschichte der Stadt.

Das weiß auch Kim Hyung Wook, der gerade lieber im Jemen oder der Mongolei wäre, bevorzugte Orte seiner Fotoprojekte. Aber auch der Balkon über seiner "World Edge"-Galerie hat Perspektive. "Wer heute Seoul besucht, steht früher oder später vor meinem Haus", sagt der Fotograf. Die Touristen, die sich das steile Gässchen des Viertels Samcheong-dong hochschieben und außer Atem angekommen über ockerfarbene Lehmmauern und das leuchtende Gewoge glasierter Keramikdächer-Fluchten staunen, mit Panorama-Zeigefinger im Dunst von Greater Seoul umrühren und dabei das Stahlgerippe des nahen Jongno-Towers ausmachen, geben Herrn Wook jedenfalls recht.

Denn spätestens seit Orientierungstafeln auf den "Art Gallery Walk" verweisen, gilt Samcheong-dong als aufstrebendes Viertel. Hanok Village 2.0 könnte man sagen, angesichts der stylischen Firmenschilder, die Architekturbüros und Designstudios verraten - aber auch die Seele von Seoul. Immerhin erzählen sorgfältig aufgestapelte Holzbalken und Dachziegel auch von der Liebe zum Detail, die den Umbau vieler Yangban-Häuser zum angesagten Kreativviertel prägt. Caffè Latte, avantgardistische Fassaden, kleine Privatmuseen, eine alteingesessene Seifensiederei und der rot leuchtende Ziegelschornstein des öffentlichen Bades als Orientierungsmarke im engen Gassenlabyrinth - all das sorgt hier für fast kleinstädtische Harmonie.

Mehr Irritation steuern jene Galerien bei, deren Präsenz den Höhenflug des Viertels erst möglich machte. Ein keramisches Motorrad-Unglück, Vincent van Gogh, ganz in Blutrot und mit leicht schwammigem Ohr, Donalds Neffen Tick, Trick und Track, leider bis aufs Entenskelett abgemagert - so sehen die spannenden Arbeiten überwiegend koreanischer Künstler aus, die Samcheong-dongs lokale Platzhirsche - Hunday Gallery, Kukje Gallery - spannend machen.

Metamorphose des traditionellen Viertels

Allein kommt die Metamorphose des traditionellen Viertels freilich nicht. Wenngleich städtebauliche Schönheitskosmetik für eine - auf gigantische Maßstäbe abonnierte - Megacity wie Seoul kaum mehr als eine Randnotiz ist. Allerdings eine im Sinne des amtierenden Bürgermeisters. Denn Herr Oh Se-Hoon ist bekennender Design-Freak. Das hatten bereits Projekte wie die seit 2008 hier veranstaltetet Design Olympiade angedeutet.

Bloß aus Plastikabfällen Blumenskulpturen basteln, darauf will sich Oh keineswegs beschränken. Auch nicht auf Prestigeprojekte, wie Daniel Libeskinds 640 Meter Wolkenkratzer im Stadtteil Yongsan - einer der höchsten der Welt und Herzstück des Projekts "Archipelago 21". Mehr liegt ihm da wohl der Bau der riesigen Dongdaemun Design Plaza am Herzen. Immerhin soll Zaha Hadids Stahl-Glas-Raumschiff dank Modeschule und Messeflächen ja für weitere Design-Stimuli sorgen.

In der Nacht taucht ein zweites Seoul auf. Dann verwandelt sich der Kulturkomplex Kring im modernen Business District Gangnam in ausgefeilte Kreisel aus Licht, und das Nobelkaufhaus des benachbarten Apgujeong - die exklusive "Galleria" - strahlt mit tausend LCD-Schuppen. Zur alten Lebensader der Stadt, dem Han River, sind es nur ein paar Schritte. Noch pochen hier an beiden Seiten die zehnspurigen Pulsadern des Molochs. Dabei ist der Rückbau der Flussufer für die Nutzung durch Jogger & Co bereits beschlossene Sache. Seoul will zurück ans stille Wasser.

Und es trainierte für das symbolische Grün-Projekt schon einmal mit der Wiederentdeckung eines Innenstadtflüsschens, des 1961 zubetonierten und nun Richtung City-Spaziermeile revitalisierten Cheonggyecheons. Auch das ein Grund, warum Seoul nach Turin nun als zweite Stadt eine von den internationalen Dachverbänden der Industrie- und Grafikdesigner vergebene Auszeichnung erhielt. Sie lautet: World Design Capital 2010. (Robert Haidinger/Der Standard/rondo/14/05/2010)