Rollen statt schieben: Im Handumdrehen verwandelt sich "Miro" von einem Fahrrad in einen Trittroller.

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Das "First Responder Vehicle" für medizinische Einsätze,...

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...das All-Terrain-Bike "Xeno" mit eingebauten LED-Leuchten in Rahmen und Lenker...

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... und das Rad "Shopper".

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Das Rad neu zu erfinden wäre doch zu viel verlangt gewesen. Doch das, was am Ende des Projektes herauskam, merkt Kurt Hilgarth stolz an, sei "extrem innovativ und wirkt aus heutiger Sicht oft fantastisch. Trotzdem sind einige Entwürfe schon jetzt sehr nahe an der Umsetzbarkeit." Und zwar so nahe, dass eines der Fahrradkonzepte, die von Hilgarths Industrial-Design-Studenten an der FH Joanneum in Graz ersonnen worden sind, es bei einem international ausgeschriebenen (noch laufenden) und auf Realisierbarkeit ausgerichteten taiwanischen Bike-Design-Wettbewerb mittlerweile unter die Top 20 geschafft hat: Das Modell "Xeno" von Michael Jaritz sieht auf den ersten Blick nicht so anders aus als viele Hightech-All-Terrain-Fahrräder. Doch der Rahmen, der sich - vereinfacht gesagt - aus zwei U- oder V-förmigen Teilen (der nach oben hin offene trägt Sattel und Lenkung, der andere Tretlager und Hinterrad) zusammensetzt, bietet an der Verbindungsstelle revolutionäre justier- und fixierbare Federungsmöglichkeiten. "Xeno" ist aber nur einer von einer Vielzahl an Entwürfen der angehenden Industriedesigner.

Der Auftrag war keine Marotte des Lehrenden gewesen: Der im oberösterreichischen Mattighofen ansässige Fahrradhersteller KTM (der, wie Hilgarth betont, mit dem gleichnamigen Motorradhersteller "nichts zu tun hat") war ans Joanneum herangetreten: "Welche Möglichkeiten gibt es, die Hardware beim Radfahren neu zu denken?" Und zwar ohne die im Tagestrott unvermeidliche Dreifaltigkeit aus Betriebsblindheit, Scheuklappen oder heiligen Kühen.

Der Auftraggeber hatte zugesagt, die Modellbaukosten für einige Modelle zu übernehmen. "Ein wesentlicher Faktor", betont Hilgarth. Und obwohl nicht alle 32 Erstideen so weit kamen, war das der Motivation, über fünf Monate lang wöchentlich acht Stunden über Projektkategorien wie "Fahrräder für Stadt und Land", "Professional Bikes" oder "Accessoires" zu schwitzen, nicht abträglich.

Sitzen oder liegen?

Sicher: Action-Räder wie das nun international Furore machende "Xeno" sind auf den ersten Blick die spektakuläreren Ideen. Doch die wirklich für die große Masse der Radfahrer relevanten Innovationen liegen vermutlich in den weniger auffälligen Modellen. Florian Teubners "KTM Sceleton", ein dramatisch wirkender Hybrid aus Sitz- und Liegerad, löst beim Betrachter schon beim Hinschauen intensive Adrenalinausschüttung aus. Bloß: Welcher Durchschnittsradler will sich wirklich liegend und Kopf voran steile Serpentinenstraßen herunterlassen? Eben.

Da ist das - vergleichsweise - biedere Vehikel von Maria Pramberger näher am Alltag. Und darüber hinaus ein gutes Argument gegen all jene, die den Familieneinkauf als Grund für Kurzstrecken-Autofahrten vorschützen. Prambergers "Shopper" ist eine Kombination aus Dreirad und - jawohl - Einkaufswagerl: Vor dem Supermarkt koppelt man den hinteren Teil ab - und hat ein geräumiges, rollendes Einkaufswagerl. Statt auf eine zweirädrige Hinterachse setzt Martin Hanl beim "First Responder Vehicle" auf eine breite Front: Er sieht sein Dreirad als notfallmedizinisches Erste-Hilfe-Fahrzeug, das bei Großveranstaltungen rascher durch die Menge kommt.

Auch ein dritter Entwurf beschäftigt sich mit dem unspektakulären Dingen: Jacob Haims "Wolfram" ist ein Transport- und Lastenrad. Im Gegensatz zu vielen gängigen Modellen basiert es auf einem schlichten, einfachen Grundrahmen, der je unterschiedliche Last- und Tragesysteme aufnehmen kann: Postlertaschen ebenso wie Pizzakartons.

Dass seine Schützlinge das große Thema E-Bikes übersehen hätten, weist Projektbetreuer Hilgarth von sich: "Elektrozusatzmotoren spielen bei vielen eine große Rolle", betont er, "sie sind mitgeplant, mitgedacht und mitgerechnet - aber so integriert, dass sie nicht ins Auge stechen." Besonders (un)auffällig wird dies bei Maximilian Frickes klassisch anmutendem Mountainbike "Tonic": Dass da im Rahmen Motor und Akkus Platz finden, weiß nur, wer den Text zum Konzept liest - und staunt noch einmal: Während Pedelecs (einer der Fachtermini für Fahrräder mit E-Zusatzmotor) die Intensität ihrer E-Ergänzungspower nach der vom Fahrer über die Pedale eingebrachten Strampelkraft berechnen, sollen Pulssensoren im Lenker von "Tonic" auch die Herzfrequenz "mitbedenken".

Ideen für die Industrie

Eines ganz anderen Problems nahm sich Anita Schnitzer an: der Ästhetik (und des Komforts) des Radfahrers im nichtradelnden Zustand nämlich. Schließlich sind an Handtaschen oder Rucksäcken baumelnde Radhelme eher lästig denn schick. Schnitzer löste das Problem, indem sie mit "G Race" eine Art "Klapphelm" entwarf: Das Teil ähnelt im benutzungsbereiten Zustand der Oper von Sydney - und lässt sich fächerartig so zusammenklappen, dass er in fast jede Handtasche passt. Ohne Kompromisse bei der Sicherheit, wie betont wird.

Ob und welche Entwürfe je den Massenmarkt erreichen, erklärt Projektbetreuer Hilgarth, sei natürlich nicht unwichtig - aber aus der Perspektive der Designstudenten dennoch fast zweitrangig: "Für die Studierenden ist es wichtig zu spüren, wie intensiv sich Industrie mit derartigen Ideen beschäftigt." Und darüber, dass solche Projekte auch für den Auftraggeber Gewinn abwerfen, bestehe auch kein Zweifel: "Das ist auch gut fürs Image. Sowohl nach innen als auch nach außen: Zu zeigen, dass man sich zukunftsweisender Themen annimmt und an neuen Ideen interessiert ist, ist ein wichtiges Marketinginstrument." (Thomas Rottenberg/Der Standard/rondo/25/02/2011)