Jeder hat Leichen im Kasten.

Foto: derStandard.at/Schersch

+++Pro
Von Karin Pollack

Die unangenehme Wahrheit ist: Jeder hat Leichen im Kasten. Es gibt zwei Gründe, warum sie nicht entsorgt werden. Erstens: Sie riechen auch nach Jahren nicht unangenehm. Zweitens: Es gibt diese emotionale Komponente, die sich gegen Trennung und Entsorgung wehrt. Nein, es geht hier nicht um Menschen, sondern um Kleider, die es nicht mehr auf den Leib schaffen. Im Frühjahr gibt es den inneren Drang zur Erneuerung. Deshalb die Botschaft: Schafft Ordnung im Leben, räumt den Kasten auf. Wintersachen weg, Sommersachen her.

Bewährt hat sich im saisonalen Umschlichtungsprozess eine simple Regel: Was zwei Saisonen lang nicht getragen wurde, kommt zur Caritas oder – wer die guten Stücke zu Geld machen möchte – zum Secondhand. Argumente wie: "Das habe ich zur Hochzeit getragen" oder "Der Pulli war irre teuer und ist echt gute Qualität" gelten nicht. Nicht einmal: "In 20 Jahren wird das wieder modern sein." Die gute Nachricht: Nach dem Kastenräumen ist viel Platz für Neues. Und: Die Mottengefahr ist gebannt.

Kontra---
Von Sigi Lützow

Die Hose, die so gut zu Gesicht stand, auf Gedeih und Verderb. Das samtene Hemd, dessen Farbe fast noch immer so leuchtet wie ehedem. Der Pulli, den die anschmiegsamen Mädchen ob seiner Flauschigkeit stets schnurrend lobten. Das wärmende Jopperl, nach all den Jahren noch gänzlich unverbraucht. Das Mäntelchen, das sich bereitwillig breiten ließ über dies oder das. Das lederne Gilet, überzogen mit edelster Patina unzähliger durchzechter Nächte. Der Anzug, der Zeuge war beim Versprechen. Von all dem sich trennen, all das opfern für das diffuse Gefühl der Aufgeräumtheit? Das ist aus moralischen Gründen abzulehnen und darüber hinaus auch gar nicht klug.

Die Freiheit einer gut sortierten, über Jahre aufgebauten Sammlung an Zweithäuten zu opfern für den wiederkehrenden Zwang, sich neu einzukleiden unter dem Diktat der herrschenden Mode und Linie, ist eine Verirrung. Wer das Kastenausmisten verweigert, ist nicht immer, aber immer wieder bei der Mode dabei. Über einen Begriff wie Treue muss man da gar nicht erst reden. (Der Standard/rondo/18/03/2011)