Ein Spind aus der Wiener Kromus-Fabrik (um 1930), wie man ihn heute gern aufpoliert in gestylten Lofts unterbringt.

Foto: Mak / Georg Mayer

Könnte man mit Karl Kraus durch die aktuelle Möbelausstellung im Mak spazieren, würde er vielleicht einen Sager zurückziehen: "Gegen den Fluch des Gestaltenmüssens ist kein Kraut gewachsen." Die zirka 30 Objekte in der Studiensammlung Möbel sind derart reduziert, karg, zum Teil grindig und bar jeglichen Bestrebens nach "schöner Wohnen", dass man zum Schluss kommen muss, gegen diesen "Fluch" ist sehr wohl ein Kraut gewachsen.

Näher an den berühmten Gestaltungsgrundsatz "form follows function" als diese Arbeitstische, Spinde, Hocker oder Werkzeugschränke kommt man nicht ran. Diese Stücke rücken sogar Großmeister wie Eames, Breuer oder Prouvé in Richtung Schnörklser. Auch die völlige Anonymität im Sinne einer Gestalterhandschrift spricht dafür, dass es hier nur um eines geht: Hauptsache, es hält.

Geschweißt, genietet und geflickt

Die Idee zur Ausstellung dieser Elementarteilchen des Designs stammt von dem Künstler Jakob Gasteiger und dem Mak-Kustoden Sebastian Hackenschmidt, die sich mit einem bisher nur wenig beachteten Phänomen auseinandersetzen. Die Objekte, die fast alle bis zuletzt im Gebrauch waren, stammen in erster Linie aus vier österreichischen Fabriken (Kromus Wien, Eisenwerk Sulzau-Werfen, Glanzstofffabrik St. Pölten, Eternitwerk Vöcklabruck). Gebaut wurden die Ausstellungsstücke zum Teil vor Ort in den Fabriken, aus Materialien, die halt gerade da waren.

Es wurde geschweißt, genietet, geflickt, was das Zeug hält. Eisenrohre, T-Profile, Riffelblech, Holzbretter sind die Grundmaterialien. Die Patina aus Zutaten wie Öl, Schmiere, Arbeitsspuren und Rost rundet die Sache ab, macht es aber oft schwer, die Stücke zu datieren. "Der Schmutz lässt die Dinge älter erscheinen, als sie sind", sagt Kurator Hackenschmidt und erzählt weiter: "Ästhetik spielte in den Fabriken ebenso wenig eine Rolle wie Repräsentation. Hier geht es nur um die reine Funktion."

Ausweis von Individualität

Die große Frage, die sich angesichts dieser ölig-rostigen Möbelkumpanen stellt, lautet: Wie kann etwas, das formale Überlegungen völlig außer Acht lässt, mitunter derart ästhetisch wirken und heute sogar als "schick" gelten? Schon seit den 1970er-Jahren sind Industriemöbel auf Umwegen über Flohmärkte oder Galerien in Lofts eingezogen und machen dort gute Figur zwischen Cappellini, Moroso und Co. Hackenschmidt ortet die Ursachen dafür in nostalgischen Zugängen: "Wir leben hier in West- und Mitteleuropa längst nicht mehr im Industrie- bzw. Maschinenzeitalter, sondern in einer postindustriellen Ära. Die klassische Moderne, das Zeitalter des Werkbundes, der auf Mechanisierung und Standardisierung, auf Sitzmaschinen und Typenmöbel setzte und Stahlrohr als neues Material für Möbel entdeckte, ist gewissermaßen gescheitert, weil das Publikum diese Bewegung nicht nachvollziehen konnte: Im privaten Bereich des Interieurs wollten die Menschen individuell bleiben. Erst heute werden die Industriemöbel für die Wohnlandschaft entdeckt; ironischerweise gelten sie dabei als Ausweis von Individualität und treffen den Nerv der Zeit."

Diesen Zugang machen sich Designer wie Tom Dixon, der den Charme des Industriellen gut verkauft, zunutze, und auch Galeristen, vor allem in Frankreich und Deutschland verkaufen mehr und mehr Möbel aus Fabriken - eine Entwicklung, die ein Fabrikarbeiter wohl nur mit Achselzucken quittieren würde.

Zu vermeintlichen Design-Klassikern transformiert

Dass im Rahmen dieser Vermöbelung des vorherrschenden, bourgeoisen Ambientes etwas gestylt wird, das mit Styling nichts am Hut hat, ist ein zusätzliches Phänomen. Oder wie Hackenschmidt es ausdrückt: "Das Paradoxe daran ist, dass die Stücke nun entrostet, sandgestrahlt und auf Hochglanz poliert werden und so zu vermeintlichen Design-Klassikern transformiert werden."

Bei all der Zweckmäßigkeit in der Schau regen zwei Objekte so richtig zum Grinsen an, auch wenn diese nicht minder streng dasselbe Ziel verfolgen wie der Rest des alten Eisens. An der Decke der Ausstellung hängen sogenannte Hängegarderoben, die von der Voest-Alpine in Linz stammen. Es sind einfache Metallkörbe, in die der Arbeiter zum Schichtantritt sein Gewand samt Schuhe gibt und sie mittels einer Kette in die Höhen der Fabrikshalle hievt. Die Kette wird an der Wand befestigt und mittels Vorhängeschloss vor Langfingern gesichert. Ins Loft werden es diese Dinger wohl kaum schaffen, und wenn, dann wohl nur als sandgestrahlte Obstkörbchen, die griffbereit in der Chromstahlküche baumeln. (Michael Hausenblas/Der Standard/rondo/27/05/2011)