1955 fährt Mollino mit dem eigens dafür entworfenen "Bisiluro" ein Autorennen in Le Mans.

Foto: © Alessandro Nassiri, Archivio Museo Scienza

Carlo Mollino, circa 1950

Foto: Haus der Kunst

Designer und Freimaurer, Architekturprofessor und Okkultist, Autor eines Lehrbuchs übers Skifahren und über Fotografie mittels Camera obscura. Dandy, Romancier, Erotomane und waghalsiger Kunstflieger. Erbauer eines Tanzpalasts, eines Theaters, auch eines Reitklubs. All das war Carlo Mollino, der 1905 in eine wohlhabende Turiner Ingenieursfamilie hineingeboren wurde. Und: Konstrukteur eines sehr eigenen Kosmos, dessen konkrete Zentrale eine mitten in Turin gelegene Wohnung war, die zu Mollinos Lebzeiten niemand betreten durfte. Und in der er, auch wenn er sie bis ins kleinste Ausstattungsdetail sorgsam durchinszeniert hatte, nie übernachtete. Seit 1999 ist dieses Appartement als Museo Casa Mollino dank der Enthusiasten Flavio und Napoleone Ferrari öffentlich begehbar, Vater und Sohn Ferrari trugen in mehr als 20-jähriger Arbeit das vollständige, nach Mollinos Tod 1973 verstreute Interieur wieder zusammen.

Der studierte Architekt Mollino, der zeitgleich ein kunsthistorisches Studium absolvierte, war seit Anbeginn seiner beruflichen Laufbahn 1931 finanziell unabhängig. 40 Jahre später galt der charmante, umgängliche, geistreiche Universalnonkonformist mit exzellenten Umgangsformen, der lebenslange Junggeselle, sportliche Grenzerfahrungen Suchende und Verächter der geraden Linie dann aber als der "heilige Verrückte von Turin". Das Haus der Kunst in München richtet bis 8. Jänner 2012 dem unermüdlichen Eklektiker nun eine umfassende Retrospektive aus, in der man Mollino als Möbeldesigner sieht, dessen Objekte auf Auktionen um bis zu 3,8 Millionen Euro verkauft werden. Die Schau gilt aber auch dem Zeichner, dem Architekten weniger realisierter Projekte - einige wurden abgerissen, andere sind dem Verfall preisgegeben -, dem Autor, dem Sportsmann, dem Manieristen, aber auch dem Aktfotografen, dessen Bilder bis vor kurzem noch in der Kunsthalle Wien zu sehen waren.

Eigenes Lebenstheater

Was die fünf Sektionen der Ausstellung miteinander verbindet, ist Carlo Mollinos Wille zum Illusionismus. Gleich zu Anfang sieht man die Videoaufzeichnung eines Gesprächs mit der mit ihm befreundeten Künstlerin Carol Rama, die von ihm ein anmutiges Porträt entwirft und ihn als Tänzer charakterisiert, als Erbauer eines eigenen Lebenstheaters, in dem es einen Regisseur, einen Hauptdarsteller, einen Requisiteur gab. Sie alle trugen den Namen Mollino.

Die Welt wurde ihm zur beschwingten, tänzerisch schwebenden und graziösen Linie. Nach seinen Anfängen im Funktionalismus der Moderne mit der Casa di Fascio in Voghera (Pavia) und der Zentrale des Landwirtschaftsverbandes in Cuneo ließ er schon Mitte der 1930er-Jahre alles fahren, was an Nüchternheit erinnerte, und ließ stattdessen das Barock aufleben, farbenreich, ausgreifend kurvig, traumwandlerisch grotesk.

Das zeigt die atmosphärisch ziemlich asketisch geratene Retrospektive mit fast 300 Exponaten, ob es nun ein sich die Wand entlangschlängelnder Garderobehaken von 1940 ist, sein Entwurf als pure Lichtillumination für einen Stand eines Fabrikanten von Sicherheitsglas auf der Turiner Automesse 1956, die zahlreichen sorgsam konzipierten Einzelpublikationen und Zeitschriftenveröffentlichungen, die Gebäude, Sessel, Lampen oder Tische mit eigenwilligem Fischgrätentrageskelett aus Holz.

Virtuosität

Dass der unzeitgemäße Mollino in den 1980er-Jahren von postmodernen Malern wie David Salle wiederentdeckt wurde, war kein Zufall. Dass heute - abgesehen von einigen mittelgroßen Ausstellungen in der Zwischenzeit und den Aktivitäten der beiden Ferraris -, in einer Zeit, in der die Postmoderne als historisch verbuchbarer, mittlerweile kommerzialisierter Geschmacksunfall in Museen groß gewürdigt wird, dasselbe passiert, ist erst recht kein Zufall. Denn Carlo Mollino spricht zu uns - in seiner Virtuosität, in seinem Willen zur ironisch grundierten Fusion. In seiner Originalität, die jede Tiefe scheut. Und in seiner Lust, alles zu integrieren, eine Fotografie Man Rays ebenso wie den Schwung von Mantelfalten, den Elan des selbst designten roten Rennwagens, den Mollino eigenhändig in Le Mans fuhr, oder Anrüchiges wie Aktaufnahmen.

So erratisch, weil nicht eingrenzbar Mollino war - für sein Leben nach dem Tode hatte er vorgesorgt durch eine gründliche, auf die Nachwelt schielende Systematik seines imposant wilden Werks. (Alexander Kluy/Der Standard/rondo/21/10/2011)