Dass man bei "Dezeen" sehr wohl auch auf Papier steht, beweist das "Book of Ideas",...

Foto: Hersteller

...das einige der besten Ideen aus Architektur und Design in der Geschichte der Website präsentiert.

Foto: Hersteller

Dezeen-Chef Marcus Fairs, Hansdampf in allen Designgassen.

Links
www.dezeen.com
www.dezeenbookofideas.com

Foto: Hersteller

Meistens trugen sie Anzüge. Doch die waren unsichtbar, zu ähnlich, um wahrgenommen zu werden. Besser sah man die kleinen Kameras, mit denen sich die Designspione über neue Entwürfe auf internationalen Designmessen beugten.

Heute haben es die Kopisten leichter und schwerer zugleich: Schwerer, weil Plagiateure heute auch Blitzstarter sein müssen. Dafür können sie die Makrolinse getrost im Etui lassen. Denn in der Regel reichen einige Mausklicks, die auch auf dezeen.com führen, eine Seite, die vor ziemlich genau fünf Jahren als Blog begann und die heute eine ähnliche Rolle spielt wie eine Mediengeneration zuvor Alessandro Mendinis legendäre Zeitschrift Domus - wenngleich von intellektuell brillanten Essays über den Stand und Zustand des Designs hier eher nichts zu lesen ist. Das Time Magazine reihtden Namen Dezeen unter die 100 wichtigsten Schlüsselfiguren des Designs, dieses Schaufenster zur Designwelt hinter dem sich Prototypen, Architektur, Installationen, Messeevents, Produktpräsentationen und vieles mehr finden.

Marcus Fairs trägt keinen Anzug, sondern bloß Hemd und Hose, zu dem das Strahlen ganz gut passt, das wiederum Marcus' Stimmungslage illustriert. "Es macht echt Spaß, Geld zu verdienen", erzählt der Gründer von Dezeen im Rahmen eines Workshops. Der Londoner erzählt von Design-Consulting und vom neuen Watch-Store, der Dezeen seit einiger Zeit ergänzt, spricht vom 20-Pfund-Grundeinsatz, mit dem er Dezeen 2006 auch aus Geldmangel begonnen hatte, und natürlich von den fünf Millionen Hits, die die Seite im Monat verzeichnet - ein Gedränge vor dem digitalen Schaufenster, das sich pro Jahr verdoppelt.

"Verbrannter" Entwurf?

Apropos Gedränge: Den Anwesenden beim Workshop macht eines Sorgen: Soll man seine Prototypen via Dezeen ins Internet stellen? Ist der Entwurf für die Verwertung durch große Labels dann wirklich "verbrannt", wie ein Kenner der Branche, nämlich der deutsche Designer Stefan Diez, dazu meint? Oder stimmt doch eher die Beobachtung von Mr. Dezeen: Dass die Postings auf seiner Seite mitunter den Beginn gut verlaufender Karrieren begleitet haben. Als Beweis, wer mit welcher Idee früher publik war, taugen sie allemal.

Wäre es blöd gelaufen, dann müsste Marcus Fairs dieser Diskussion vielleicht von den hinteren Rängen einer Workshop-Bank lauschen. Denn der Brite graduierte selbst im Fach Möbeldesign, über das er anschließend aber lieber berichtete. Zunächst als Journalist für britische Medien wie The Guardian oder The Independenton Sunday. Später als Gründer des internationalen Architektur- und Designmagazins Icon, gelegentlich für die BBC. Und nicht zu vergessen als Buchautor, der mit Titeln wie Twenty-First Century Design und Green Design die Design-Entwicklungen durchkämmt wie nur wenige andere neben ihm.

Dass es gut gelaufen ist, beweist der Umstand, dass Marcus Fairs selbst ziemlich am Laufen ist - von Designmesse zu Workshop zu Vernissage und im Kreis retour. In der Regel tut er das mit Videocam im Handgepäck. Auch weil sich "Design mithilfe von Videos besonders gut kommunizieren lässt". Klar, dass diese Verdichtung auf Kommunikationskanäle, das damit verbundene Übergewicht der Visualisierung von Design via Schirm, nicht zuletzt die Macht, die sich mit der "sorgfältigen Auswahl" verbindet, Fragen aufwirft.

Designgemischtwarenladen

Wenn Fairs von der "zunehmenden Medienfreundlichkeit der Entwürfe" spricht, die der Präsentation via Internet oder eben Dezeen entgegenkommt, dann macht er das freilich aus feinster Trendnasenperspektive: Bio Jewellery, blob und Hussein Chalayans konzeptuelle Mode, interaktive Tapeten und Pixel Art. Die Welt als unübersichtlicher Designgemischtwarenladen, die er weniger in Manifestform einzementieren, sondern bestenfalls ordnen und - als nächstes Dezeen-Vorhaben - in designhistorische u. ä. Kontextebenen einbetten möchte, gewinnt dann an Kontur. Denn schon steht anderes ins Haus, soll das Bild - wenn schon nicht hinter sich gelassen - so doch komplexer werden: Nicht umsonst ortet der Netzakrobat 3-D-Darstellung und Methoden der erweiterten Realität als die eigentlichen Grenzen, die es in Zukunft zu verschieben gilt - ein Szenario, bei dem Dezeen vermutlich mit von der Partie ist. Im schlimmsten Fall als Guckloch auf virtuelle Starck-Avatare, die uns zu Hause am neuen Sofa innovative Lehnmechanismen erklären. Marcus Fairs mag ihn dorthin eingeladen haben. Er selbst hält sich lieber im Hintergrund. (Robert Haidinger/Der Standard/rondo/28/10/2011)