"Bent Chetler" nennt sich ein "Powder Rocker" aus dem Hause Atomic.

Foto: Hersteller

Dass man das Rad nicht ständig neu erfinden kann, gilt als eines der größten Dilemmata der Marketingbranche. Aber zum Glück sind Skier nicht rund - und so bietet sich alle paar Jahre die Chance, zumindest in diesem Segment der (Fort-)Bewegung Neues zu präsentieren: Versprach vor einigen Jahren die Carver-Technologie ein gänzlich neues, unkompliziertes und fast müheloses Fahr- und Schwingerlebnis, drängt diese Saison wieder eine neue Ski-Form auf den Markt: "Rocker" lautet das Zauberwort - und nach der Carver-Doktrin "Kurz ist gut" werden die Bretter nun - Überraschung! - wieder lang. Und sollen dennoch leichter drehen denn je.

Dass das funktioniert, wissen vor allem Off-Piste-Fahrer schon seit einigen Jahren: Grob vereinfacht gesagt, ist ein "Rocker" so aufgebaut, dass sich der vordere Teil dann, wenn in der Mitte Druck auf den Ski ausgeübt wird, nach oben biegt. So greift auch die Kante erst viel weiter hinten. Fazit: "Flach" aufgesetzt zieht es die Skispitze im Tiefschnee nach oben - der Ski "schwimmt" auf. Und in der Kurve verschneidet man weniger leicht.

Rocken und carven

Im Freeride-Bereich sieht man dem Rocker den Rocker (falls der Fahrer nicht bis zur Hüfte im Powder steckt) an: Auf einer Länge von bis zu 30 Zentimetern zieht es den Ski da vorne, manchmal auch hinten, bis zu drei Zentimeter in die Höhe. Weil aber ein kürzerer Ski überall besser dreht, werden nun auch bieder-alpine Pistenfahrer zu "wilden" Rockern. Obwohl "wild" relativ ist: "Pistenskier", erklärt Chris Maierhofer von Atomic, "heben sich nur ein paar Millimeter. Die Kante ist dennoch deutlich kürzer."

Das Potenzial haben mittlerweile alle Hersteller erkannt - und setzten heuer auch im Massenmarkt auf den zugleich langen und kurzen Ski: "In dieser Saison werden rund ein Drittel der verkauften Ski Rocker sein", erklärt Florian Grösswang, Geschäftsführer der Sporthandelskette Eybl. Mittelfristig werden dann "mehr als 50 Prozent" Rocker-Schaufeln haben. Atomic-Marketingmann Maierhofer spricht langfristig sogar von 100 Prozent. "Wie bei den Carvern - heute ist jeder Ski ein Carvingski." Gleichzeitig zu rocken und zu carven "ist kein Widerspruch."

Den Ursprung der hohen Nase verorten Wintersportler meist im Snowboardbereich. Das stimmt nur bedingt. Maierhofer, der als Boarder-Profi acht Jahre unter den Top Five der Weltranglisten war, verweist auf die Surfszene der 1950er-Jahre: "Da waren die Boards flach. Bügelbretter. Als man begann, steile Wellen zu surfen, musste man sich was einfallen lassen, um nicht ständig einzufädeln."

Noch weiter zurück blickt Paul Jamieson, einer der Köpfe des aus Neuseeland stammenden, in England ansässigen, auf "fette" Offpiste-Bretter spezialisierten Labels Whitedot: "Die Spuren lassen sich über 1000 Jahre zurückverfolgen - bis nach Sibirien." Um aus hochgebogenen Ästen am Fuß aber auch in tiefem Pulver spaßbringende Skier zu machen, fügt er hinzu, "braucht man dann schon Technik und Know-How."

Playing in the snow

Das Resultat sind jene Bilder, von denen der Wintertourismus heute lebt. Bilder, auf denen Profis Hänge allem Anschein nach schwerelos durchpflügen - so wie die aus Salzburg stammende Profi-Riderin Eva Walkner. Ohne die schwimmende Schaufel, gibt sie zu, wären diese im Fahrer-Neusprech "playing in the snow" genannten Bilder und Videos deutlich mühsamer und kräftezehrender: "Der Auftrieb durch die hochgezogene Spitze hilft, Kraft zu sparen. Und: Die kurze Kante verzeiht Fehler viel eher." Das hat mittlerweile auch die aufstiegsorientierte Skitourenszene erkannt, erklärt Elmar Tritscher, Verkaufsleiter der Südtiroler Marke Dynafit: "Das ist nicht bloß ein Gag." Dennoch schränkt Tritscher ein, dass der Rocker "kein Allheilmittel" ist: "Weniger effektive Kante bedeutet auch weniger Laufruhe." Dennoch eröffne der Rocker neue Welten: "Bisher war Tiefschneefahren für viele ein Ding der Unmöglichkeit."

Ins gleiche Horn stößt Christof Schett. "Früher hieß es, man solle sich im Tiefschnee nach hinten setzen. Jetzt kann man fast normal fahren", fasst der Ausbildner im Jugend-Backcountryprojekt des österreichischen Alpenvereins Risk & Fun und Veranstalter von Offpiste-Reisen zusammen - und sieht ein Phänomen von "Henne & Ei": "Der Trend geht immer noch ins Gelände. Ob da der Ski die Leute ermutigt oder die Leute solche Ski suchen, ist letztendlich egal."

Rocker wird man jedoch keineswegs vornehmlich bei guten bis sehr guten Fahrern mit starkem Drang ins Freie finden. "Das Potenzial liegt anderswo", erklärt Eybl-Chef Florian Grösswang: "Bei konditionell weniger starken Komfortskifahrern. Die haben jetzt auch noch am Nachmittag Kraft zum Skifahren." Grösswang kann die Zielgruppe auch konkreter beschreiben: "Das Segment 60+." (Thomas Rottenberg/Der Standard/rondo/02/12/2011)