Berlin-Kreuzberg: Wo einst das legendäre Exil stand und die Berliner mit Tafelspitz und Gulasch angefixt wurden,...

Foto: Gerhard Wasserbauer

...steht heute das Horváth,...

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dessen frisch besternter Küchenchef Sebastian Frank eine radikal modernisierte Wiener Küche zaubert, dass man als Österreicher glatt neidig werden könnte.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Um den alten New-Age-Begriff Genius Loci wieder einmal ins Spiel zu bringen: Im Kreuzberger Restaurant Horváth scheint's ihn zu geben. Schon in den 1960er- und 1970er-Jahren wurde hier im legendären Exil furios und österreichisch aufgekocht. Die Berliner staunten Bauklötze - Essen kann schmecken! Unter einem Brus-Deckengemälde wurden sie mit Tafelspitz und Gulasch angefixt, um sie dann süchtig nach Kalbszüngerl, Bries und sauren Nierndln zu machen. Die internationale Prominenz kam wegen der Viennese Cuisine, die Theaterleute wegen der Topfenknödel, die Künstler wegen der Frittatensuppe. Es war ein Coup de foudre: Damals verliebte sich Berlin unsterblich in die Wiener Küche; gut, Grüner Veltliner wurde auch ausgeschenkt. Wo damals Billard gespielt wurde, stehen die Tische heute dicht an dicht, und das ist gut so. Denn hier kocht Sebastian Frank.

"Entrecôte vom Holzkohlegrill mit Zwiebelstrukturen, Holunderölemulsion, Lángos und geschmortem Störfilet": Mit solchen Sachen wird man Koch des Jahres. Und mit "Pudding von weißer Schokolade mit Kürbiskernöl, Speckcreme und geeistem Riesling" erlangt man einen ersten Michelin-Stern.

Aus dem Kopf kochen

Der dreißigjährige Niederösterreicher Sebastian Frank kocht österreichisch. Quasi. In erster Linie kocht Sebastian Frank aus dem Kopf. Sobald er seine Küche im Horváth verlassen hat, sobald sein halbjähriges Söhnchen eingeschlafen und er selbst zur Ruhe gekommen ist, fängt die eigentliche Arbeit an. Der Koch erinnert sich. An die Speisen seiner Kindheit, an die Geschmäcker seiner niederösterreichischen und Wiener Heimaten. Die aus der Vergangenheit emporgetauchten Scheiterhaufen, Grießnockerln, Gurkensalate oder die Lángos im Prater lösen bei Sebastian Frank unmittelbar Ideen für neue Gerichte aus.

Grad so wie bei Proust, nur umgekehrt: ein Zusammenzucken, um dann vollkommen im Bann einer verwegenen Geschmackskomposition zu verharren. Die erinnerten Speisen werden dekonstruiert, um alles Schwere und Altmodische erleichtert und mit einem puren, heimischen Produkt erster Güte vereint. Nicht mehr als drei Zutaten auf dem Teller, klar im Geschmack, nüchtern in der Gestaltung und reduziert in der Auslobung ("Karotte mit Zitrone und Cassis").

Das Schöne ist, dass diese Ideen nicht von der großen, weiten Welt inspiriert werden, auch nicht von Besuchen bei internationalen Großmeistern. Sebastian Franks Gedankenfutter kommt ausschließlich aus Österreich und nur aus den Regionen, in denen er gelebt, gelernt und gearbeitet hat. Franks Küche schmort jedoch nicht im eigenen Saft, sie wandelt sich rasant und raffiniert, die dazu nötigen Anstöße bringen Kollegen-Kochbücher und Rezepte; wenn's sein muss auch der Gang über den Wochenmarkt am Maybachufer. Und so entstehen Knaller wie Hechtfilet mit Rhabarber-Schweinebauch-Vinaigrette oder Karpfen mit Brathendlessenz. Die berlinische Begeisterung für den Frank'schen Lángos, der in der vegetarischen Variante (siehe Bild) mit Süßkartoffelpüree und Broccoli kombiniert und mit Pinienkern-Knoblauchöl bepinselt wird, zeigt, dass die Berliner auch jenseits von Backhendl und Palatschinken tiefe Verbundenheit zur Wiener Küche empfinden.

Entschlakte Tradition

Urwienerisch ist Sebastian Frank auch bei seinem "Flussbarsch mit Paprika, Knoblauch und Weißkraut": kurzgebratenes Filet mit gesäuertem Kraut, Paprikamarmelade, Röstknoblauch-Selleriecreme und Rosenpaprikabutter - hier taucht der gute, alte "Karpfen, serbisch" der alten Fischrestaurants wieder auf. Dieser Teller entschlackter Tradition ist auch jener, der aus dem Menü heraussticht, mit einem Klecks leuchtenden Paprikarots. Roterübenrot findet man noch und ein Dunkelpurpur vom Zwetschkenmus - das übrige Menü ist samt und sonders in Wüstenfarben gehalten. Pürees, Filets, Saucen, Nappierungen und Nocken in Schokolade, Siena, Beige, Isabellfarbe, Ecru und Elfenbein - irgendwann ist Sebastian Frank draufgekommen, dass er seine Kompositionen gern Ton in Ton kreiert. Auch sein Arrangement der Zutaten ist mittlerweile nicht mehr Tellerarchitektur aus Balken und Blöcken, heute ist die Gestaltung organischer und weicher konturiert.

Franks Sprung in die Oberliga konnte nur in Berlin geschehen. Der glücklichen Umstände des Standorts ist er sich bewusst, notabene der Offenheit und Neugier der Berliner Esser, aber auch seines Status als Ösi, der mit "seiner" Küche schließlich machen kann, was er will. In Wien hingegen ist ihm Wiener Kochkunst generell zu langsam unterwegs, in ihrer Selbstzufriedenheit immer ein paar Jahre hinterherhatschend. Seinen eingeschlagenen Weg wäre er wohl dennoch auch zwischen den Wiener Schnitzel- und Tafelspitzpfaden gegangen, hätte ihn seine Berliner Freundin nicht von heute auf morgen weggelockt.

PS: Welche Erinnerung aus der Wienerstadt seiner Kindheit Sebastian Frank auf seine "Terrine von der gebratenen Stopfleber mit Blutwurst, Banane, Majoran und Pinienkernen" gebracht hat, ist noch zu erörtern. (Der Standard/rondo/09/12/2011)