Nur Charts zählen und wirken? Nein, Gefühle sind die Kraft und zugleich der Sprengstoff im Unternehmen.

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War Veränderung in den Unternehmen früher ein in sich abgegrenzter Zwischenschritt, der lange Phasen der Stabilität und Kontinuität für kurze Zeit unterbrach, ist Veränderung heute ein dominanter Faktor im betrieblichen Leben.

Arbeit spielt sich wo auch immer in nahezu anhaltend instabilen, turbulenten Umwelten ab. Erst allmählich wird erkannt, welch enormes Ablenkungspotenzial sich für den einzelnen Arbeitnehmer aus dem Zwang zur laufenden Auseinandersetzung mit den unablässigen Veränderungen um ihn herum ergibt. Der Wunsch, „einfach mal in Ruhe arbeiten können“, macht das deutlich.

Sehnsucht nach Beständigkeit

Wie viel Sehnsucht nach einer gewissen Beständigkeit und Berechenbarkeit der Arbeitsumstände kommt in diesen sechs Worten zum Ausdruck? Welches Bedürfnis, sich „einfach nur mal um das Eigentliche kümmern zu können, darauf, worauf es doch eigentlich ankommt, oder“? Und wie wenig wird diesem Verlangen Rechnung getragen. Wie „souverän“ wird darüber hinweggesehen, wie stark dieses ignorierte Zurücksehnen nach einer gewissen Dauerhaftigkeit in den Strukturen und Abläufen dem Betrieb schadet; wie enorm das ständige innerbetriebliche Umkrempeln vom Eigentlichen ablenkt, auslaugt und Resignation heraufbeschwört.

Rumort es unablässig in jedem Kopf: „Morgen geht gestern nicht weiter. Aber ich weiß nicht, wie wird, wie soll es weitergehen!?“, bleibt für andere Gedanken unter der Schädeldecke nur noch wenig Platz. Wird das, was eigentlich der Ausnahmezustand sein sollte, zum Normalzustand, ist das eine ausgesprochen schlechte Basis für Konzentration, sorgfältiges Überlegen und wohlbedachtes Handeln.

Unbefriedigendes Tun

Der Unmut über fahriges, oberflächliches, im Gesamtverhalten unbefriedigendes Tun des Personals nimmt zu. Vonseiten der Arbeitgeber ebenso wie vonseiten der Kunden. Dafür gibt es nicht nur einen Grund. Aber einer spielt dabei mit Sicherheit keine Nebenrolle: die zunehmende mentale Überforderung des Personals, der beachtliche Ablenkungsfaktor, der sich neben der eigentlichen Aufgabe aus dem anderweitig zu Verarbeitenden und zu Bewältigenden ergibt.

Und auch ein weiterer Grund für besagten Unmut verbirgt sich nicht im Nebel des Ungewissen: Die defizitäre innere Bindung an den Arbeitgeber sorgt ebenfalls nicht für überschäumendes Bemühen um Arbeit und Kunden. Im Grunde brauchte es nicht die regelmäßigen diesbezüglichen Pulsmessungen des Gallup-Engagement-Index, um zu erkennen beziehungsweise bestätigt zu bekommen, dass die innere Verbundenheit mit der Firma und mit ihr die vorbehaltlose Lust auf Leistung auch schon mal bessere Zeiten gesehen hat.

Identifikationsproblem

Vermutlich wird sich kein Arbeitnehmer mit allem identifizieren können, was sein Arbeitgeber für angezeigt und notwendig erachtet. Aber in jenem Maße, in dem Tun und Lassen der einen Seite sich immer weiter von den Bedürfnissen und Erwartungen der anderen Seite entfernt, wächst auch die - in einer mehr oder weniger offen zutage tretenden Wurstigkeit - innere Distanz zum Betrieb.

Und je größer diese innere Distanz wird, desto mehr schmälert sie die tatsächliche Wirkung betrieblicher Restrukturierungsmaßnahmen; desto kleiner wird die vorbehaltlose Bereitschaft, sich mit dem Neuen auseinander- und sich damit ins Benehmen zu setzen. Engagement ohne eine wirkliche gefühlsmäßige Nähe zu dem, wofür sich engagiert werden soll, gibt es nicht.

Betriebliche Leistungsschwäche

So übersteht in den Betrieben vieles - durchaus ernstzunehmende Stimmen behaupten sogar das meiste, was sich als Engagement ausgibt - nicht den Lackmustest genaueren Hinschauens. Betriebliche Leistungsschwäche verweist, aus dieser Perspektive betrachtet, auf die Notwendigkeit einer anderen Medikation als jene sich jagender Umstrukturierungen.

Nicht dass organisatorische Veränderungen keine betrieblichen Wohlfahrtswirkungen hätten. Das vorhandene Gerüst von Struktur und Ablauf nicht regelmäßig auf seine Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen wäre ein schwerer Fehler. Die Erfahrung lehrt nur, dass die an dessen Effizienzwirkung geknüpften Hoffnungen meist zu hoch gespannt sind und dass Holprigkeiten in diesen Bereichen selten der tatsächliche, ausschließliche Grund für die unterdimensionierte betriebliche Performance sind.

Ungewissheit und Unsicherheit

Viel mehr als unter überholungsbedürftigen Strukturen und Abläufen leidet das Leistungsvermögen eines Unternehmens unter der Stimmung, die in ihm herrscht. Wo die garstigen Zwillinge Ungewissheit und Unsicherheit ihr Unwesen treiben und die beherrschenden atmosphärischen Stimmungsmacher im Betrieb sind, beschäftigt sich die Belegschaft zwangsläufig vorrangig mit sich selbst - mit den entsprechenden Folgen.

Natürlich ruht dann nicht die Arbeit. Natürlich wird dann auch etwas getan. Nur wie? Und für dieses ungenügende „Wie?“ gab es früher einen sehr bildhaften Rüffel: „Du arbeitest ja nur mit den Händen!“ Nein, nein, keineswegs zielte dieser Vorwurf auf die Diskriminierung der Handarbeit. Gerügt wurde die von außen unschwer erkennbare Tatsache, dass da jemand bei der Arbeit nicht dachte; dass da einfach ein Vorgang ohne jede innere Beteiligung abgespult wurde, eben „nur“ mit den Händen, nicht auch mit dem Kopf, eben ohne innere Anteilnahme. Und eine Arbeitshaltung, die vormals schon nicht genügte, kann in unseren Tagen erst recht nicht genügen.

Fehlende innere Bindung

Vielleicht am auffälligsten ist dieses „Arbeiten nur mit den Händen“, diese fehlende innere Verbundenheit mit der Aufgabe oft in Beratungs- und Verkaufsgesprächen zu spüren. Kunden fragen etwas, suchen nach Informationen, sind erkennbar damit beschäftigt, eine Grundlage für eine Entscheidung zu bekommen - und bekommen sie nicht.

Sie fühlen sich düpiert, weil sie als Antwort keine auf ihr spezifisches Anliegen bezogene Auskunft erhalten, sondern eine antrainierte Floskelsuada. Die fehlende innere Bindung an Betrieb und Aufgabe lässt sich förmlich mit Händen greifen. Nicht die möglicherweise suboptimale Struktur- und Ablauforganisation macht das engagierte Beratungs- beziehungsweise Verkaufsgespräch unmöglich. Wer hier sei- ne fatale Hand im Spiel hat, ist der Teufel der Bindungslosigkeit. Wo er das Regiment führt, da gibt es keinen von Herzen kommenden Einsatz für was auch immer.

Leistungsvermögen und Performance

Mehr als möglichen Holprigkeiten im organisatorisch Formalen - wenigstens aber im gleichen Maße wie diesen - gilt es diesem Beelzebub die Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die schon etwas bemoosteren, abgeklärteren Karpfen im Teich der Unternehmensberater, die zwar das aktuell Angesagte in Sachen Unternehmensführung aus dem Effeff kennen, nicht aber dessen Sklaven sind, wissen es nur zu gut: Betriebliches Leistungsvermögen, die überlegene Performance hat in erster Linie etwas mit Gefühlen und erst in zweiter Linie mit formalen Konfigurationen zu tun.

Die Einhaltung des psychologischen Vertrags zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die Erfüllung der wechselseitigen unausgesprochenen Ansprüche an die andere Seite, die vertrauensvolle innerbetriebliche Beziehung, die ist es, die „den Kohl fett macht“, die für den Job „durchs Feuer gehen lässt.“

Treibstoff und Brennstoff zu gleich

Ob der wortmächtige Reformator Martin Luther es nun tatsächlich gesagt hat oder nicht, die Bemerkung, die ihm zugeschrieben wird, für die alten Hasen der Unternehmensberatung trifft sie die Sache auf den Punkt: „Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz.“ Entspannter, heiterer Sinn, das wissen sie nur zu genau, ist der Quellgrund betrieblicher Schaffenskraft. So, wie es der als Dichter der Mark Brandenburg in die Geschichte eingegangene Theodor Fontane gereimt hat: „Du wirst es nie zu Tücht’gem bringen / Bei deines Grames Träumereien, / die Tränen lassen nichts gelingen: / Wer schaffen will, muß fröhlich sein.“

Die Gefühle, die einem Unternehmen seitens der Belegschaft entgegengebracht werden, sind einerseits der Treibstoff, der einen Betrieb zusammenschweißen und ihn prosperieren lassen kann, andererseits aber auch der Sprengstoff, der genau das Gegenteilige zu bewirken vermag. (Hartmut Volk, DER STANDARD, 24./25.5.2014)