Sie entflammten die Phantasien der Menschen bereits vor Jahrzehnten - selbstfahrende Autos, die, wie von Geisterhand gesteuert, über die Highways gleiten und den unter einem riesigen Panorama-Glasdach sitzenden Passagieren gleich zweierlei Komfort versprachen: Muße und absolute Sicherheit.

Schon Anfang der 1950er liefen in den USA erste Experimentalfahrzeuge, die von unter dem Asphalt verteilten Sensoren in der Spur gehalten wurden, über kurze Versuchsstrecken. Serienreife: spätestens 1975.

Der Traum vom autonomen Fahren, realisiert im Jahr 1956. In einer Illustration zumindest.
Foto: general motors

Doch der Traum aller Hobby-Hefte-Leser ließ auf sich warten. Noch im Jahr 2004 sah der Ist-Zustand zum Thema Selbstfahrer bestenfalls peinlich aus: Bei der ersten DARPA Grand Challenge, einem vom US-Verteidigungsministerium ausgerichteten Wettbewerb für Roboter-Fahrzeuge, gingen über 100 Teams an den Start, die ihre Geräte durch die kalifornische Mojave-Wüste schickten. Keines fand ins Ziel, der Sieger quälte sich über eine Distanz von knapp 12 Kilometern, dann kam der Champ vom Wege ab und fing Feuer.

Das GM-Concept Firebird III von 1958: Zwei Glas-Kanzeln und reichlich Flügelwerk verwiesen auf eine Zukunft im Weltall. Hatte kein Lenkrad und ließ sich von Sensoren am Asphalt leiten. 
Foto: general motors

Keine zehn Jahre nach diesem Fiasko ist das Thema "Autonomes Fahren" eine der heißesten Wetten auf eine Zukunft,  die – abhängig von der jeweiligen Prognose - ab 2025, spätestens ab 2030 die Mobilität verändern wird. So oder so ähnlich steht es in den Log-Büchern jener Unternehmen, die diese Transformation vorantreiben: der Internet-Konzern Google, die IT-Unternehmen Cisco und IBM, die großen Autokonzernen wie Mercedes, BMW, Volkswagen, Nissan oder Toyota.

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DARPA-Challenge 2004: Großes Scheitern in der Mojave-Wüste. 
Foto: ap

Doch wie immer diese Zukunft genau aussehen wird: Die Roboter-Mobilität wird nicht nur den Straßenverkehr völlig verändern. Sie wird, sobald ihre Zahl eine kritische Größe überschritten hat, ganze Branchen dazu zwingen, neue, zumindest andere Geschäftsmodelle zu entwickeln. Sie wird das Antlitz der Städte und des ländlichen Raums verändern. Sie wird unsere Arbeitswelt verändern. Sie wird Staaten neue Möglichkeiten der Kontrolle an die Hand geben. Autonome Mobilität – das ist eine Trägerrakete für eine echte gesellschaftliche Revolution.

1. Wird Google das General Motors des 21. Jahrhunderts?

Seit Jahren schon hat Google eine autonom fahrende Test-Flotte laufen. Wurden die Robo-Cars anfangs noch über selten befahrene Highways geschickt, sind die mit Lasersensoren, Radargeräten und reichlich Informationstechnologie ausgestatteten Fahrzeuge seit Kurzem auch in Städten unterwegs, um mit komplexeren Verkehrssituationen wie etwa Baustellen oder Umfahrungen fertig zu werden.

Ende Mai kündigte der Konzern aus Mountain View gar an, unter die Autohersteller zu gehen. Doch das kuriose E-Mobil, das wie aus dem Kaugummiautomaten gezogen aussieht und mit der Vision an den Start gegangen ist, in Zukunft auf Lenkrad und Pedale zu verzichten, ist nicht nur ein Marketing-Coup, sondern eine echte Drohgebärde an die vermeintliche Old Industry, die etablierten Automobil-Hersteller. Sehr her, lautet die Botschaft, wenn ihr nicht auf unsere Technik setzt, bauen wir uns die Hardware eben selbst.

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Google Cars in Kalifornien: Seit kurzem auch im Stadtgebiet unterwegs und folglich komplexen Verkehrssituationen ausgesetzt. 
Foto: reuters

Allein: Für die Big Player gehört die Entwicklung und Vernetzung von Sicherheits- und Fahrassistenten schon seit Jahrzehnten zum Geschäft. In aktuellen Oberklasse-Fahrzeugen stecken etwa drei Dutzend Sensoren, automatisch bremsen, beschleunigen, lenken – all das ist unter Aufsicht des Fahrers bis etwa Tempo 60 schon längst möglich. Car-to-Car-Kommunikation warnt schon jetzt vor dem Stau hinter der nächsten Kurve oder spannt vor einem tiefen Schlagloch schon einmal die Dämpfer an. Zulieferer wie Continental und Bosch forschen mit Hochdruck an der neuen, autonomen Mobilität.

Vor allem aber: Die Automobilindustrie hat sich schon längst mit Google zusammen getan, um das Thema gemeinsam zu stemmen. So sitzen in der im Jänner dieses Jahres gegründeten Open Automotive Alliance neben Google auch Audi, General Motors und Honda. Ziel der Allianz: die Integration einer für den Betrieb im Auto adaptierten Version von Android, dem Google-Betriebssystem.  All diese Entwicklungen zeigen: Autonomes Fahren ist längst dem Prototypen-Stadium entwachsen, der Trend ist nicht mehr aufzuhalten.

2. Ist unfallfreie Mobilität überhaupt möglich?

Ein Google Car trinkt kein Achterl zu viel, fährt nicht auf den Vordermann auf, hält im Ortsgebiet exakt 50 km/h ein, überholt nicht in unübersichtlichen Kurven, hat keine Schrecksekunde, tippselt während der Fahrt keine SMS oder streitet sich mit der Schwiegermutter. Ein selbstfahrendes Auto macht einfach seinen Job. Der Mensch hinterm Steuer hingegen – darüber geben alle Unfallstatistiken beredt Auskunft – ist die größte Schwachstelle im Individualverkehr. Und da sind externe Einflussfaktoren wie Kinder, Hunde, Radfahrer nicht einmal inkludiert.

Umfeld-Überwachung im Fall eines hochgerüsteten Mercedes. 
Foto: daimler

Die Sensoren eines Roboter-Autos reagieren schneller als ein Profi-Fahrer, sind stets scharf, suchen im Zweifelsfall unter allen Möglichkeiten, eine Verkehrssituation zu lösen, die beste sowie defensivste und sind dank der Vernetzung mit anderen Automobilen in der Lage, Gefahren zu erkennen, die noch gar nicht im Blickfeld eines menschlichen Fahrers aufgetaucht sind.

Dass in zehn Jahren dennoch keine Verkehrsunfälle mehr passieren, wird wohl eine Vision bleiben, dennoch kann diese Technologie einen enormen Beitrag leisten, die Zahl der Verkehrstoten und Schwerverletzten signifikant zu senken.

Doch zuvor muss das selbstfahrende Auto noch einen Lackmus-Test bestehen: die mediale und sozialmediale Hysterie, die über jenen Hersteller herein bricht, dessen Produkt – tatsächlich oder nur vermutet - das Leben eines Verkehrsteilnehmers auf dem Gewissen hat. Die 26.600 Verkehrstoten, die in der EU im vergangenen Jahr zu beklagen waren, verkommen da zur statistischen Marginalie.

3. Nett, dass sich Google und die Autohersteller so um uns kümmern.

Das ist nicht nett, sondern ein neuer Multi-Milliarden-Dollar-Markt. Und es geht nicht nur um das Wohl von Google, Mercedes & Co.

Es geht um Industrien und Dienstleister, die es so noch gar nicht gibt: Unternehmen, die die riesigen Datenmengen, die erzeugt werden, übertragen oder in einer gigantischen Daten-Cloud verwalten. Neue, innovative Car-Sharing-Modelle, die mit den Robo-Cars erst möglich werden. Schlaue Apps, mithilfe derer einem das passende Auto vor die Tür gestellt wird. Völlig neuartige Fuhrpark-Management-Systeme sind erforderlich, um Transporte zu dirigieren.

Im September 2013 schickte Mercedes eine "Bertha" genannte S-Klasse auf eine 100 Kilometer lange Strecke. Das Forschungsfahrzeug bewältigte die Fahrt autonom und ohne Probleme.
Foto: daimler

Die KfZ-Versicherungsbranche indes steht vor einem großen Transformationsprozess – wer will schon Prämien für quasi-unfallfreies Fahren zahlen? –, doch die Sorge vor juristischem Ungemach könnte Rechtsschutzversicherungen und Vollkasko-Schutz zu einem Boom verhelfen.

4. Apropos Versicherung: Wer ist schuld, wenn's kracht?

Prinzipiell immer der andere – das gilt zumindest heute. Sich selbst einen Fehler einzugestehen, fällt bekanntlich schwer. Sollte es dennoch einmal zu einem Unfall zwischen zwei Vollautomaten kommen, geben die Informationen in den Datenspeichern der beteiligten Fahrzeuge relativ rasch darüber Auskunft, wie es zu dem fatalen Ereignis kam.

Die Schuldfrage wird dennoch nicht so einfach zu klären sein. Schließlich gibt es nicht nur vollautonome, sondern auch teilautonome Systeme. Wer hat dann Schuld? Der Fahrer? Der Fahrzeughersteller? Der Betriebssystem-Hersteller? Der Software-Lieferant, dessen Car-to-Car-System Mucken gemacht hat? All das sind Bereiche, auf die die Rechtsprechung sowie Haftungsgesetze vorbereitet sein müssen.

Eine erste entscheidende Weiche wurde vor zwei Wochen gestellt: Die 1968 erlassene sogenannte "Wiener Konvention", in der unter anderem festgelegt wird, dass "jeder Führer sein Fahrzeug dauernd beherrschen oder seine Tiere führen können muss", wird von den Vereinten Nationen dahingehend gelockert, dass auch autonome Fahrzeuge in Zukunft legal sind – sofern sie jederzeit vom Fahrer gestoppt werden können.

Bei Volvo heißt das Selbstfahrer-Programm SARTRE. Ziel hier: Monotone Autobahnfahrten sollen vom Fahrzeug, nicht vom Fahrer bewältigt werden. 
Foto: volvo

Doch abseits der großen Fragen über Leben und Tod sowie noch dunkelgrauer juristischer Bereiche gibt es noch eine Vielzahl weiterer Fragen zu klären: Wer zahlt das Parkticket, wenn sich ein Selbstfahrer einen Platz im Parkverbot gesucht hat? Wer haftet, wenn Software-Updates nicht auf dem letzten Stand sind und dadurch Unfälle verursacht werden? Und wer zahlt die Strafe, wenn ein Auto vor den Augen eines Gesetzeshüters gegen die Einfahrt fährt, während man hinterm Steuer gerade eine Runde Gran Turismo spielt? Fragen, die der Gesetzgeber erst schlüssig beantworten muss. Gut möglich, dass Österreich da ein wenig länger braucht.

5. Und wie steht's um die Sorge der permanenten Überwachung?

Die ist nicht nur eine Sorge, sondern ein berechtigter Einwand. Schon jetzt sind viele Automodelle, wie z.B. der Tesla S,  laufend mit einer Datenzentrale verbunden, um etwa die Fahrzeug-Software upzudaten. Standort- und Telemetrie-Infos werden dabei gleich mitgesendet. Den gläsernen Autofahrer gibt es also schon. Der Aufschrei der Datenschützer angesichts des von der EU geplanten automatisierten Notruf-Systems eCall zeigt, dass berechtigte Interessen, in dem Fall die schnelle Hilfeleistung, rasch mit Grundrechten der Bürgerinnen und Bürgern kollidieren können.

Abseits der Frage, wie, wo und wie lange Bewegungsdaten gespeichert werden, kommt aber auch noch die sehr reale Gefahr eines Hacker-Angriffs dazu. So haben im vergangenen Sommer zwei IT-Experten die Firmware eines Autos so manipuliert, dass die Lenkradkennung und sogar die Bremsleistung beeinflusst wurden. Die Software hätte sich ihren Angaben zufolge sogar per WLAN oder Mobilfunknetz aufspielen lassen. Sollten autonome Fahrzeuge tatsächlich einmal in größerer Zahl unterwegs sein, wären sie sicher ein interessantes Ziel für Spaßvögel – oder die IT-Spezialisten nicht sehr freundlich gesonnener Wirtschaftsmächte.

6. Autos ohne Pedale und Lenkrad: Kommt das wirklich?

Nein. Genauso wenig, wie es EIN autonomes Fahrzeug mit einer technischen Komplettausrüstung geben wird. Schon jetzt fahren auf unseren Straßen Modelle, die mit teilautomatisierten Systemen (Kollisionswarner, City-Bremse, Lenkeingriff) unterwegs sind, über die andere nicht verfügen.

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Das unlängst präsentierte Google Selfdriving Car. Die Studie kommt ohne Lenkrad und Bremspedal aus. Technik toll, als Auto betrachtet ein Marketing-Gag. 
Foto: reuters

2030 wird es vollautomatische Systeme geben – und eben abgespeckte Versionen. Das entscheidet die Länge der Aufpreisliste und ergo die Kaufkraft. Doch selbst ein reiner Selbstfahrer wird immer ein Lenkrad haben – aus dem gleichen Grund, warum in vollautomatisierten U-Bahn-Zügen noch immer ein Zugführer sitzt. Der Mensch braucht einfach das Gefühl, dass da jemand ist, der eingreifen könnte. Oder dass da etwas ist, womit man eingreifen kann.

7. Autos, die effizienter und spritsparend unterwegs sind: Das ist doch ökologisch?

Könnte man meinen. Tatsächlich aber werden die Robo-Cars noch mehr Individualverkehr auf die Straßen bringen als zuvor. Selbst der bravste Pendler wird im Winter nicht zur S-Bahn-Station stapfen, wenn er sich ein vorgeheiztes Auto bestellt, das ihn direkt bis zu seinem Arbeitsplatz kutschiert. Wie überhaupt der öffentliche Nahverkehr der große Verlierer dieser Revolution sein könnte. Wer stellt sich schon mit Dutzenden anderen in eine müffelnde U-Bahn, wenn man sich jederzeit einen Selbstfahrer herbeiholen und alleine dahin strömen kann. So man nicht neben anderen Vollautomaten im Stau steht.

8. Wenigstens hat man dort seine Ruhe, oder?

Könnte sein, dass Ihr Arbeitgeber das anders sieht. Oder Sie sich selbst – vom Akt des Fahrens befreit – auferlegen, vor der Arbeit ein paar E-Mails abzuarbeiten. Tatsächlich wird autonome Mobilität den Unterschied zwischen Beruf und Freizeit weiter verschwimmen lassen. Was die Arbeitgeber als wunderbares Mittel zur Effizienz-Steigerung sehen werden, könnte vielen Arbeitnehmern – und Gewerkschaften – weniger wunderbar erscheinen.

9. Und warum sollen sich mit den schlauen Autos auch die Städte ändern?

Das ist tatsächlich das spannendste Versprechen, das mit dem sich ändernden Mobilitätsbegriff einhergehen könnte. Zum einen wird der Anteil der Auto-Besitzenden deutlich geringer werden, zumal man sich an jeder Straßenecke ein Automatik- Taxi heran holen kann. Es werden also weniger Fahrzeuge herum stehen. Zum anderen können sich jene autonomen Mobile, die momentan nicht gebraucht werden, einfach selbst einen Stellplatz suchen – und zwar dort, wo gerade genügend Platz frei ist.

Seit Jahren lässt Audi unter dem Label "Urban Future" junge Designer, Forscher und Stadtplaner auf die Metropolen der Zukunft los. Autonomes Fahren ist da fix eingeplant. 
Foto: audi

In Summe könnten dank des Systems der mehr oder wenig ständig rotierenden Selbstfahrer in den Innenstädten ganze Parkräume aufgelassen und stattdessen die Gehsteige verbreitert und mehr Freiraum für die Bewohner geschaffen werden. Eine Vision, die Parkhäuser, Garagen, Großparkflächen ad absurdum führen würde und die Städteplaner vor völlig neue Herausforderung stellt.

10. Fein, aber wo ist die gesellschaftliche Revolution?

Mobilität war und ist der Transmissionsriemen für gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen. Der Straßenbau im alten Rom, die Entwicklung von Dampflokomotive und Dampfschiff,  der Bau des ersten leistbaren Massen-Vehikels, des Ford Model T – das sind nur einige Marksteine, bei denen die Erleichterung der räumlichen Mobilität buchstäblich mit einer Erweiterung des Horizonts einherging.

Wie an einer Perlenkette aufgefädelt: Die tägliche Fahrt ins Büro im Jahr 2030. Allein - aber doch gemeinsam. 
Foto: audi

Mithilfe von vollautomatisch fahrenden Autos wird sich unser Bild vom Straßenverkehr, das Gesicht der Metropolen, die Arbeitswelt und unser Reiseverhalten ändern. Für Sehbehinderte, Versehrte oder gebrechliche Menschen gibt es darüber hinaus eine neue Möglichkeit, weiter mobil zu sein. Und ob ein Kind allein mit dem Robo-Car in die Schule fahren darf, werden wir spätestens im Jahr 2030 wissen.

11. Und was ist mit der Individualität? Der Freiheit? Dem einfach Einsteigen: und weg?

Das alles werden uns Marketing-Zampanos, Event-Spezialisten und Crossover-SUV-Coupé-Designer mit vielen flirrenden Emo-Videos und knackigen Werbebotschaften vermitteln. Wie im Jahre 2014 schon. (Stefan Schlögl, derStandard.at, 3.6.2014)