Eva Jaeggi

Wer bin ich? Frag doch die anderen!

Hans-Huber-Verlag 2014, 212 Seiten, 20,60 Euro

Foto: Huber Verlag

Die Frage "Wer bin ich?" klingt eher nach Rhetorik denn nach einer ernstgemeinten Frage an sich selbst. Denn mindestens so oft, wie sie in zahllosen Ratgebern und populärphilosophischen Büchern vorkommt, bleibt sie unbeantwortet. Und selbst wenn sich eine Antwort findet, sollte diese nicht in Stein gemeißelt werden. So viel steht nach der Lektüre des neuen Buches der deutschen Psychoanalytikerin Eva Jaeggi immerhin fest.

Feste Identität

In "Wer bin ich? Frag doch die anderen!" nimmt sich Jaeggi diese schwer zu fassende Frage nach der Identität in dafür recht überschaubaren 200 Seiten vor und geht sie von verschiedenen Seiten an: etwas Theorie aus der Soziologie, Philosophie und Psychologie, Beispiele, wie sich die Frage nach Identität bei bestimmten Gruppen - Paaren, Singles, ältere Menschen - stellt, oder ob die Suche nach einer "festen Identität" Ziel einer Psychotherapie sein soll.

Bereits im knappen Theorieteil tritt ein wichtiger Gegensatz zutage: Moderne Identität zeigt sich im "flexiblen Menschen", wie es der Soziologe Richard Sennet formuliert. Für Sennet ist das keine positive Entwicklung, die sich sowohl in der Arbeitswelt als auch in Beziehungen breitmacht. Die Frage: Ist ein "fixer Kern", der in einer Therapie dingfest gemacht werden soll, wirklich die bessere Option? Keineswegs, zumindest wenn es nach dem Psychiater Fritz Perls geht. Er war überzeugt, dass "der gesunde Mensch möglichst wenig Persönlichkeit hat" - freigespielt von aufgezwungenen Normen und Routinen. Also im Grunde genommen genau das, was heute gefordert wird, während gleichzeitig der Topos der "Authentizität" hochgehalten wird.

Beziehungsunfähige Singles 

Das Wechselspiel zwischen flexibler Identität und festem Wesenskern bleibt auch in dem Abschnitt, in dem sich Jaeggi Fallbeispielen aus ihrer Arbeit widmet, zentral. Wie sehr die Frage nach dem Ich mit gesellschaftlichen Vorstellungen verwoben ist, zeigt sich in ihrer Beschäftigung mit Singles.

So würden Singles sich selbst oft an einem Vokabular orientieren, das ihnen die Ratgeberindustrie oder Populärkultur permanent anbietet: die Eigenschaft "beziehungsunfähig" zum Beispiel. In Partnerschaften ist deshalb der jeweils andere die Hölle, der hemmende Vorstellungen vom Partner oder von der Partnerin ständig wiederholt.

Letztendlich geht es in diesem Buch, das vor allem als Einführung in ein komplexes Thema funktioniert, um das Leben, das man führen will - und nicht um jenes, das man führen soll - "mit möglichst wenig Persönlichkeit." (Beate Hausbichler, DER STANDARD, 3.6.2014)