Bild nicht mehr verfügbar.

Angesichts der verfehlten Politik vor der Krise sieht Dijsselbloem keine Alternative für angeschlagene Länder: Bei drohendem Bankrott helfe nur Sparen. Bei Reformen kann es mehr Spielraum geben.

Foto: Reuters/Pirlet

STANDARD: Seit den EU-Wahlen dominiert der Streit, ob Jean-Claude Juncker als Wahlsieger Kommissionspräsident werden soll. Wie ist die Position der Niederlande?

Dijsselbloem: Die niederländische Regierung hat keinen der Kandidaten kommentiert. Wir sind überzeugt, dass es erst um das Mandat gehen muss. Darum, was die Prioritäten der EU-Kommission für die nächsten Jahre sind. Erst dann sollte man über Kandidaten sprechen. Die Niederlande sind somit strikt neutral.

STANDARD: Das Treffen von Regierungschef Rutte mit den Juncker-Gegnern aus Großbritannien und Schweden ist ein anderes Signal.

Dijsselbloem: Bundeskanzlerin Merkel war auch da, und sie unterstützt Juncker sehr stark.

STANDARD: Und Ihre Haltung ist?

Dijsselbloem: Dass wir zuerst über das Mandat reden.

STANDARD: Im Wahlkampf wurde europaweit mit Spitzenkandidaten geworben. Ist die jetzige Diskussion keine Wählertäuschung?

Dijsselbloem: Das will ich nicht kommentieren, weil wir gar nicht wissen, was bei der Diskussion herauskommen wird. Ich weiß auch nicht, ob wirklich die meisten Wähler wegen der Wahl des Spitzenkandidaten ihre Stimme abgegeben haben oder wegen der Zukunft Europas, wegen Arbeitsplätzen und Wachstum. Viele Wähler haben ihre eigenen Motive. Lassen Sie uns abwarten, wie sich die Regierungschefs entscheiden.

STANDARD: Apropos Jobs. Die Eurozone kommt nur sehr langsam aus der Rezession. Ist der Preis der Austerität, der Sparpakete, zu hoch?

Dijsselbloem: Es gibt einen hohen Preis, aber der Grund dafür ist nicht Austerität, sondern die Krise, die uns in Austerität gezwungen hat. Dazu trugen billige Kredite, Immobilienblasen, hohe Risiken Verlust von Wettbewerbsfähigkeit, zu hohe Schulden und schlechte Politik bei. Europa hat anschreiben lassen. Wir haben viel Geld aufgenommen und dieses schlecht ausgegeben. Eine simple Analyse würde sagen, dass unsere Probleme Folge von Austerität sind. Eine gründliche Analyse kommt zu dem Schluss, dass Austerität wegen der falschen Entwicklungen in den Jahren zuvor unvermeidbar war.

STANDARD: Gut, aber mit weniger rigiden Sparauflagen wäre ein Rückfall in die Rezession und somit vielleicht auch die Verschlechterung der Budgets vermeidbar gewesen.

Dijsselbloem: Griechenland und andere Länder sind fast bankrottgegangen und daher zu Sparsamkeit gezwungen worden. Wenn keine Glaubwürdigkeit mehr vorhanden ist und einem kein Kredit mehr gewährt wird, dann hat man keine Wahl. So mussten wir Krisenmechanismen und Rettungsschirme etablieren, um Staaten vor dem Bankrott zu retten. Teil dieser Strategie war, dass die Länder alles unternehmen müssen, um ihre Budgets in Ordnung zu bringen.

STANDARD: Apropos: Wann und wie wird die Lücke im griechischen Haushalt geschlossen werden? Hier wird ja mit einem dritten Hilfspaket oder einem Schuldenschnitt gerechnet.

Dijsselbloem: Nach dem Sommer werden wir neue Berechnungen anstellen. Das hängt mit den Stresstest der Banken zusammen, weil die darüber Auskunft geben, ob die griechischen Banken die bereits im Hilfspaket reservierten Mittel benötigen werden. Das ist noch ein großes Fragezeichen. Dann werden wir wissen, wie viel Geld noch vorhanden ist und wie die langfristige Schuldentragfähigkeit Griechenlands aussieht.

STANDARD: Denken Sie, die Millionen Arbeitslosen in Südeuropa können so lange warten, bis das Wachstum anspringt?

Dijsselbloem: Solange Budgets nicht stabil sind, kann man nicht mehr Geld ausgeben. Die Diskussion sollte sich mehr um private Investitionen drehen anstatt um öffentliche Gelder - dafür ist Wettbewerbsfähigkeit Voraussetzung. Und da sehen wir großes Interesse der internationalen Investoren.

STANDARD: Einige Länder erhalten mehr Zeit, um die Vorgaben des Stabilitätspaktes zu erfüllen. Werden die Zügel gelockert?

Dijsselbloem: Der Pakt sieht das unter bestimmten Bedingungen vor, beispielsweise wenn ein unerwarteter wirtschaftlicher Rückschlag erfolgt. Ich plädiere dafür, dass dann mehr Zeit eingeräumt wird, aber das Land Extrareformen durchführt. Wir wollen die Zeit nicht vergeuden.

STANDARD: Das betrifft die Unterschreitung der dreiprozentigen Defizitgrenze. Wie sieht es bei der Erreichung eines ausgeglichenen strukturellen Budgets aus?

Dijsselbloem: Im präventiven Arm des Paktes müssen wir uns die Mechanismen ansehen und möglicherweise redesignen, sodass auch hier zusätzliche Reformen belohnt und angerechnet werden. Viele Reformen brauchen Zeit, bis sie die Budgets entlasten - denken Sie an die Anhebung des Pensionsalters. Wenn die Gesetzgebung kurzfristig reagiert, sollte das in der Budgetbewertung honoriert werden. Das würde Länder stimulieren, mehr zu tun.

STANDARD: Wäre das für Österreich ein Thema? Wien will erst 2016 den Haushalt strukturell ausgleichen.

Dijsselbloem: Die Extramaßnahmen sind für jetzt akzeptabel, aber es gibt ein Risiko, dass Österreich das Ziel verfehlt. Es geht hier aber nicht um Sanktionen, sondern darum, auf die Risiken hinzuweisen.

STANDARD: Muss der Rettungsfonds ESM einspringen, wenn Banken Lücken aufweisen und das erforderliche Kapital nicht auftreiben?

Dijsselbloem: Wenn Banken das Kapital nicht an den Kapitalmärkten auftreiben und sie systemrelevant sind, müssen die nationalen Regierungen einspringen. Wenn die dazu nicht in der Lage sind, kann der ESM Geld einschießen. In einer Notsituation könnte das erforderlich werden.  (Andreas Schnauder, DER STANDARD, 11.6.2014)