Gegenwartskunst mit "Brancusi-Effekt" (v. li.): Sofia Hulténs "OkOkOkOkOk", Konstantin Grcics "Chair One" und Shahryar Nashats "Rodden to the core".

Foto: Stephan Wyckoff

Wien - "Es wächst nichts im Schatten großer Bäume." Diese Konsequenz zog Constantin Brancusi 1907 nach nur einem Monat Mitarbeit im Atelier von Auguste Rodin. Er ging. Ob sich die Kunsthalle Wien dieses Zitat zu Herzen genommen hat? Ist deswegen in der Ausstellung Der Brancusi-Effekt keine einzige Originalskulptur von einem der wichtigsten Bildhauer der Avantgarde zu sehen?

Bei den angekündigten Leihgaben des Kunsthauses Zürich, die einen - so der Pressetext - "faszinierenden Einblick in das Denken und die Produktionsweise" Brancusis ermöglichen, handelt es sich um Fotografien seiner Werke. Freilich nicht irgendwelche, sondern jene Aufnahmen, die Brancusi selbst anfertigte, denn jedem anderen Fotografen sprach er die Fähigkeit ab, seine Skulpturen ins richtige Licht zu setzen.

In seinem Pariser Atelier (heute neben dem Centre Pompidou rekonstruiert) staffelte er die Arbeiten in den Raum, arrangierte ein mit Licht und Schatten komponiertes dreidimensionales Stillleben, schuf quasi eine variable Installation im heutigen Verständnis. Ein Inszenieren von Skulptur, das klarmacht, warum Brancusi sagte: Warum über Skulptur reden, wenn du sie fotografieren kannst.

Ob die Fotos - etwa von einer Endlosen Säule vor nebligem Horizont - allerdings so gesprächig sind, dass sie zu wirklichen Stellvertretern seines von Reduktion und Variation charakterisierten Werks werden? Nein. Den einen oder anderen Entsandten, einen seiner in Stein, Holz und Gips gearbeiteten oder in Bronze gegossenen Köpfe, seine "Vögel" oder in den Himmel wachsenden, kubistischen Stelen hätte die Schau im Karlsplatz-" Aquarium" schon vertragen. Und auch die Gegenwartskunst mit dem Brancusi-Effekt hätte gerne im Schatten des großen Baums zu plaudern begonnen.

Ein solcher Dialog hätte ebenso gut getan wie eine generell größere Dimensionierung dieser Idee. Denn der im Titel effektvoll lockende "Effekt" erklärt sich nicht, sondern setzt etwas voraus. Etwa das Wissen um Brancusis Interesse für einen in die Skulptur integrierten Sockel, der "alle Formen in einer Form zusammenfasst und lebendig macht". Oder das Serielle, die Variation, das Nebeneinander der Objekte, ihr Verhältnis zum Betrachter. So kratzt der eingeforderte "intuitive" Zugang oft nur an der Oberfläche, endet beim Schmunzeln über das Upcycling simpler Wagenheber oder bunter Putzeimer zur tragenden Säule (Sofia Hultén, Haraldur Jónsson). Das Duo Ana Benera / Arnold Estefan gruppiert aus kubistischen Holzornamenten aus der rumänischen Volkskultur eine ephemere Skulptur. Das Wiederholen der Form findet sich in den duftenden Seifensäulen von Rudi Stanzel.

Die famose Formen findenden Brancusi-Lookalikes von An Te Liu sind Abgüsse von Styroporverpackungen eines Mopeds oder eines neuen i-Macs, also Skulpturen, die sich aus der Absenz von Form ergeben. Oft kennt An Te Liu die Herkunft der Styroporteile gar nicht, ihn reize der archäologische Zugang zu den Dingen. Aspekte, die man hier nicht nachlesen kann. Eine stumme Schau. Zu stumm. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 13.6.2014)