Gartler sind ständig damit konfrontiert, den Daumen gegenüber einem Lebewesen zu heben oder zu senken.

Illustration: Dennis Eriksson

Leben möchte leben. Wer gibt wem das Recht, darüber zu entscheiden, was mehr oder weniger überlebensberechtigt ist? Und doch triagieren wir nahezu täglich, fällen Todesurteile für die einen und sorgen uns um das Überleben für die anderen. Wir spielen Richter und Henker in einer Person.

Darmneurotiker sorgen sich um das Überleben ihrer Darmbakterien, aber wollen den Pilz vor Ort auslöschen. Hundehalter stellen mitunter das Wohl ihres Waudis über Ängste von Kindern, aber zerdrücken ganz beiläufig eine Zecke zwischen Daumen- und Zeigefingernagel. Und die Gartlerinnen und Gärtner sind sowieso täglich damit konfrontiert, das Leben im Garten in pflegens- und tötenswert zu kategorisieren.

Leben möchte leben und muss dies auf Kosten von anderem Leben hinbekommen. Und so sind wir Gartler ständig damit konfrontiert, den Daumen gegenüber einem Lebewesen zu heben oder zu senken. Der Löwenzahn wird ausgestochen und zerhackt, der Huflattich häuft sich auf dem Kompost, und für die wuchernde Nachtkerze ist das Boot leider auch schon voll. Todesurteil werde ausgesprochen und sofort vollstreckt.

Maulwurf und Maikäferl

Der Regenwurm darf bleiben, der Maulwurf, der muss sterben. Die Läuse sollen gefälligst alle tot von den jungen Trieben fallen, aber das Maikäferl möge doch bitte bleiben. Wir bestellen online Nützlinge, damit sie die Schädlinge töten. Der Ohrenschlürfer bewegt sich da in einer Grauzone: zu grauslich, um eigentlich überleben zu dürfen, zu hilfreich, um auf ihn zu verzichten. Bei Spinnen ist es ähnlich. Und es wird noch komplizierter. Denn alles Leben kann kränkeln und einmal nicht perfekt funktionieren - egal, nach wessen Plan.

Die Medizin der Pflanze

So, und jetzt muss der Gartler die Entscheidung treffen, ob er qua Medizin der Pflanze hilft oder diese dem anderen Leben, Pilzen, Bakterien und Läusen, als Futter überlässt. Tausche Leben gegen Leben. Die Medizin heißt oft Pestizide. Ui, da steckt das Wort Pest drinnen - wir werden alle sterben! Stimmt, irgendwann.

Pestizide und Fungizide helfen Pflanzen beim Überleben, unterstützen sie im ständigen Kampf gegen Parasiten, die oft tödlich sind. Wie so oft macht auch hier die Menge das Gift. Einerseits die Menge an klonalen Monokulturen bei Zuchtbetrieben und in der Nahrungsmittelproduktion und andererseits die Menge an daraufhin notwendiger Pflanzenmedizin, deren Nebenwirkungen für Bienen und andere Bestäuber mitunter bedenklich sind.

Die enorme Nachfrage der Gartlerinnen und Gärtner nach gesunden, schönen Pflanzen im Frühjahr stellt für die Zuchtbetriebe eine große Herausforderung dar. Es scheint, dass dies zurzeit ohne intensiven Einsatz von Pestiziden nicht zu bewerkstelligen ist. Daumen runter? (Gregor Fauma, Rondo, DER STANDARD, 20.6.2014)