Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Stuntfahrer demonstriert Schülern einen Sturz über eine geöffnete Autotür, wie es Sabine Lühr-Tanck vor drei Jahren passierte - nur ohne Helm. Sie bekam Recht, dass sie keine Teilschuld trägt.

Foto: dpa/Carsten Rehder

An den Aufprall selbst erinnert sich Sabine Lühr-Tanck nicht mehr. Vor drei Jahren radelte die damals 58-Jährige in Glücksburg (Schleswig-Holstein) gemächlich die Straße entlang, als das Unglück passierte.

Die Fahrerin eines Autos, das am Straßenrand abgestellt war, öffnete just in dem Moment, als die Lühr-Tanck vorbei kam, ihre Autotür und brachte die gelernte Physiotherapeutin zu Fall. Diese stürzte mit dem Kopf auf den Asphalt und zog sich eine mehrfache Schädelfraktur, innere Blutungen sowie ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zu.

Vier Monate lang war Lühr-Tanck in der Klinik, sie ist heute arbeitsunfähig und hat ihren Geruchs- und ihren Geschmackssinn verloren. Von der Autofahrerin verlangte sie anschließend mit gerichtlicher Hilfe Schmerzensgeld und Schadenersatz.

Zunächst bekam sie vor dem Landgericht Flensburg auch Recht. Doch die Autofahrerin und deren Bayerische Beamtenversicherung gingen in die nächste Instanz und erzielten dort einen Teilerfolg.

Das Oberlandesgericht Schleswig lastete der Radlerin eine Mitschuld von 20 Prozent an, weil sie keinen Fahrradhelm getragen hatte, und kürzte die von ihr geltend gemachten Ansprüche um 20 Prozent.

Es sei davon auszugehen, dass ein „ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm tragen“ werde, hieß es im Urteil. Das ärgerte Lühr-Tanck, schließlich gibt es in Deutschland (wie auch in Österreich) keine gesetzliche Helmpflicht für Radfahrer. Mit finanzieller Unterstützung des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) zog sie vor den Bundesgerichtshof (BGH).

Der gab der 61-Jährigen am Dienstag Recht und erklärte: Auch wer ohne Helm mit dem Rad fährt, trägt bei einem Unfall keine Mitschuld an erlittenen Kopfverletzungen. Daher darf auch der Schadenersatz nicht gemindert werden. 2011 als der Unfall passiert war, gab es nicht nur keine Helmpflicht, es habe auch „kein allgemeines Verkehrsbewusstsein“ geherrscht, dass beim Radfahren das Tragen von Schutzhelmen zum eigenen Schutz erforderlich und zumutbar sei, so das Gericht. Begründung: „Es trugen nach repräsentativen Verkehrsbeobachtungen der Bundesanstalt für Straßenwesen im Jahr 2011 innerorts nur elf Prozent der Fahrradfahrer einen Schutzhelm.“

Der ADFC ist mit dem Urteil zufrieden: „Die Sicherheit von Radfahrern verbessert sich in erster Linie durch intelligente Radwegekonzepte und vor allem durch aufmerksame Autofahrer“, sagt Geschäftsführer Burkhard Stork und weist darauf hin, dass Radfahren keine Risikosportart sei. Auch der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat erst vor kurzem betont, dass er keine Helmpflicht einführen wolle. (Birgit Baumann aus Berlin, DER STANDARD, 18.6.2014)