Sebastian Esser, Gründer und Herausgeber von "Krautreporter".

Foto: Krautreporter

Das Team von "Krautreporter" besteht aus rund 30 Autoren, weitere freie Journalisten könnten sich dazugesellen.

Wien - Qualitätsjournalismus abseits des tagesaktuellen Geschehens versprechen die Initiatoren des Onlinemagazins "Krautreporter". Die deutsche Crowdfunding-Plattform hat Mitte Juni die Finanzierungshürde für ein Jahr geschafft. Die Basis sind über 17.000 Mitgliedschaften zu jeweils 60 Euro. Das Kernteam von "krautreporter.de" besteht aus rund 30 Autoren, pro Tag sollen vier Artikel online gehen. Herausgeber und Gründer Sebastian Esser erklärt, was das Magazin bieten wird und wie er über das eine Jahr hinaus reüssieren möchte.

derStandard.at: Jede Menge Vorschusslorbeeren und über eine Million Euro auf dem Konto: Bereitet Ihnen diese Verantwortung schlaflose Nächte?

Esser: Nein, aber so einfach ist es leider nicht, denn das Geld gehört uns ja noch nicht. Wir haben dafür eine Leistung versprochen, die wir erbringen müssen. Solange verwalte ich diesen Haufen an Geld nur treuhänderisch. Das ist tatsächlich nicht ganz so angenehm, aber natürlich ist es eine Chance, die wenige bekommen. Und wir haben vor, sie zu nutzen.

derStandard.at: Laut Eigendefinition wendet sich "Krautreporter" gegen Klick- und Schlagzeilenjournalismus. Welchen Journalismus werden Sie bieten?

Esser: Wir wollen den Journalismus machen, den es vor allem in Wochenzeitungen und -magazinen gibt. Aufwändige Geschichten, die nicht unbedingt tagesaktuell sind. Keine Nachrichten und kein Meinungsjournalismus mit Kommentaren und Rezensionen, sondern Reportagen und Recherchearbeiten. Vor Ort sein und aus erster Hand berichten, das ist die Nische. Und das nur online, das bedeutet multimedial und mit einer kommunikativen Haltung, die dem Internet entspricht. Geschichten werden ohne Werbung sein und mit dem Leser zusammen entstehen.

derStandard.at: Sie sind mit der Schlagzeile angetreten, dass der Online-Journalismus kaputt ist und Sie ihn reparieren werden, was für ordentliche Kritik gesorgt hat. War das zu dick aufgetragen?

Esser: Redaktionen erfahren es ja täglich am eigenen Leib. Es geht nicht nur um ihre journalistische Arbeit und ihre Qualität, sondern um die Bedingungen, unter denen sie arbeiten müssen. Wenn man statt eines Textes in der Woche vier pro Tag liefern muss, dann wird es problematisch. Online hat im Vergleich zu Print immer noch zu wenig Zeit und zu wenige Mittel. Darunter leidet die Qualität.

derStandard.at: Keine Kritik an den Kollegen also, sondern an den journalistischen Bedingungen per se?

Esser: Ja, das stand als Erklärung auch direkt darunter: dass vielen Medien Klicks wichtiger sind als Geschichten und dass niemand mehr den Überblick behalten kann, wenn die Welt nur mehr aus Eilmeldungen besteht und weil sich in auch in seriösen Onlinemedien der Boulevard ausbreitet. Die meisten Leute, die sich darüber aufgeregt haben, haben nur diesen einen Satz mit dem kaputten Online-Journalismus aufgeschnappt. Es geht um die Auswirkungen der nicht funktionierenden Werbefinanzierung im Online-Journalismus.

15.000 Unterstützer bis Mitte Juni wurden als Minimalziel definiert, um an den Start gehen zu können.
Foto: Screenshot/krautreporter.de

derStandard.at: Dagegen treten Sie an?

Esser: Ja, weil wir die Werbung weglassen und nicht dafür sorgen müssen, dass Geschichten möglichst viele Klicks generieren. Das führt sonst nämlich zu Boulevardtendenzen und dazu, dass man die Leute mit billigen Tricks auf die Seite lockt – etwa mit einem Liveticker zum Zustand von Michael Schumacher oder Themen, die sich um Sex und Verbrechen drehen. Auf "Spiegel Online" beispielsweise finden sich Artikel, die im Printprodukt niemals eine Chance hätten. Das hat mit der Werbefinanzierung und nichts mit der Qualität des Journalismus zu tun.

derStandard.at: Ist für Sie der Online-Journalismus primär klickbasiert?

Esser: Nicht überall, aber tendenziell ist das ein Problem. Die Werbefinanzierung funktioniert ja kaum, weil Werbebanner zu wenig Geld einbringen. Die wenigsten Seiten wären ohne ihre Printmütter profitabel. Das führt dazu, dass der Journalismus schlechter wird. Der Effekt ist, dass es um Klicks geht. Ein Massenboulevardblatt wird anders verkauft werden müssen als ein Qualitätsmedium.

derStandard.at: Ist es Ihnen völlig egal, wie oft die Texte gelesen werden?

Esser: Nein, wir wollen so viel wie möglich gelesen werden, aber aus den richtigen Gründen. Nicht weil unsere Überschrift dem Google-Algorithmus so gut gefällt, sondern weil es eine interessante Geschichte ist, die von vielen Leuten empfohlen wurde. Ein Grund, warum wir vor unseren Inhalten keine Paywall haben werden, ist, dass wir möglichst häufig gelesen werden wollen. Nur so können wir zusätzliche Mitglieder überzeugen. Wir können uns wirtschaftlich davon freimachen, wie oft unsere Artikel angeklickt werden. Dieser Zusammenhang ist das Fatale im Moment.

derStandard.at: Google-optimierte Texte wird es bei Ihnen nicht geben?

Esser: Wir werden schon auf SEO achten, aber auf keinen Fall Überschriften machen, die kein Mensch versteht und nur der Google-Algorithmus.

Esser im Promo-Video über "Krautreporter".
Krautreporter

derStandard.at: Sie haben als Credo "Dialog mit den Lesern" ausgegeben? Können Sie präzisieren, wie das funktionieren soll?

Esser: Da wir die E-Mail-Adressen unserer Abonnenten haben, werden wir sie bitten, uns mehr über sich zu erzählen. Das bedeutet, dass wir auf die Kompetenzen der Leser zurückgreifen können. Wenn wir zum Beispiel über Krankenhäuser in Hamburg recherchieren, dann können wir nachschauen, wie viele Leute es aus dem medizinischen Bereich unter unseren Lesern gibt, und sie um Informationen bitten.

derStandard.at: Wird es die Möglichkeit geben, Artikel zu kommentieren?

Esser: Nur für Abonnenten. Interaktionsmöglichkeiten sind Mitgliedern vorbehalten, aber nicht in einem Kommentarformat, wie das meistens Standard ist, sondern in Form von Anmerkungen. Man kann Absätze am Rand kommentieren, statt unterhalb eine Gegenrede zu halten. Diesen Trend findet man mittlerweile in mehreren Medien, etwa der "New York Times".

derStandard.at: Sind diese Kommentare für normale Leser, die nicht zahlen, einsehbar?

Esser: Nein, die können nur sehen, wie viele Kommentare es gibt. Wir glauben, dass es der Qualität der Kommentare und der Bereitschaft zum Kommentieren guttut, wenn es in einer geschlossenen Community bleibt. Sie müssen nicht Angst haben, sich vor dem gesamten Internet zu entblößen. Das sagen uns auch die Kollegen aus Holland von "De Correspondent", die mehr Kommentare haben, als sie erwartet haben.

derStandard.at: Welche "Goodies" erhalten zahlende Leser noch?

Esser: Öffentlich sichtbar wird eine Basisversion der Artikel sein. Zusätzliche Sachen wie zum Beispiel multimediale Elemente sind den Mitgliedern vorbehalten. Zum einen sind das Recherchematerialien der Journalisten – wie Dokumente, Video- oder Audiomitschnitte von Interviews –, zum anderen sind das bestimmte Inhalte, die wirklich exklusiv bleiben. Wenn wir zum Beispiel eine lange, exklusive Reportage am Freitag haben, könnte es sein, dass die nur für Mitglieder zugänglich ist.

derStandard.at: Und für Nichtzahler erst am Montag?

Esser: Oder auch gar nicht. Aber das wird die Ausnahme und nicht die Regel sein.

derStandard.at: Nachdem die Texte frei verfügbar sein werden: Fühlen sich Mitglieder nicht verarscht, dass sie dafür gezahlt haben?

Esser: Wir haben das schon im Vorfeld klar gesagt und glauben, dass das unsere Innovation sein kann. Wir wollen das Produkt Journalismus nicht künstlich verknappen und es dann verkaufen, das wäre das Konzept einer klassischen Paywall. Unsere Schranke steht nicht vor den Inhalten, sondern vor der Community. Will man interagieren und an Treffen teilnehmen, dann muss man Mitglied werden. Das gilt beispielsweise auch für Lesungen.

derStandard.at: Zum Qualitätsjournalismus, dem Sie sich verschreiben wollen, gehört eine adäquate Bezahlung. Wie viel zahlen Sie den Autoren?

Esser: Unsere Pauschalisten aus dem Kernteam bekommen für einen Text in etwa 500 Euro und zwar auf regelmäßiger Basis. Schreiben sie jede Woche einen Artikel, dann kommen sie auf rund 2.000 Euro im Monat. Das ist nicht fantastisch und führt nicht dazu, dass sie nur für uns arbeiten können. Es ist aber mehr als bei den meisten anderen Onlinemedien. Das zeigt insgesamt, wie schlecht die Bezahlung im Journalismus mittlerweile ist. Unser Ziel ist, so schnell wie möglich zusätzliche Mitglieder zu überzeugen, damit wir besser zahlen können.

derStandard.at: 500 Euro für einen gut recherchierten Artikel, bei dem User einbezogen werden und multimediale Elemente dazukommen sollen, sind nicht gerade die Welt. Und: Geht sich das überhaupt aus in einer Woche?

Esser: Wir werden auch Spesen bezahlen. Jene, die für uns schreiben, sind der Meinung, dass das geht. Das sind tolle Schreiber, also wird es schon klappen.

derStandard.at: Wie lange wird es "Krautreporter" geben?

Esser: Mindestens ein Jahr, solange reicht unser Geld. In dieser Zeit müssen wir so viele zusätzliche Leser überzeugen, dass es uns hoffentlich auch noch länger gibt. Bei den Holländern ("De Correspondent", Anm.) können wir beobachten, dass die nach einem Dreivierteljahr bereits bei 30.000 Mitgliedern halten. Uns ist klar, dass viele, die uns jetzt finanzieren, nach einem Jahr abspringen werden. Deswegen müssen wir genügend neue finden, um die zu ersetzen. Gelingt das, dann haben wir ein funktionierendes Geschäftsmodell.

Das Vorbild für "Krautreporter" ist die niederländische Plattform "De Correspondent".
Foto: Screenshot/de correspondent

derStandard.at: 15.000 Mitglieder sind das Minimum, um das Magazin betreiben zu können?

Esser: Ja, das ist tatsächlich so. Sie haben ja recht mit Ihrer Frage von vorhin, dass 500 Euro für Texte nicht so viel sind. Deswegen brauchen wir mehr Geld.

derStandard.at: Falls die Finanzierung nach dem Jahr nicht klappt: Würden Sie Investoren oder Medienhäuser ins Boot holen, um die Seite weiterbetreiben zu können?

Esser: Nein, wir wollen eine Genossenschaft machen und es unseren Lesern ermöglichen, sich am Unternehmen zu beteiligen. Mit einem reichen Investor würde das nicht funktionieren. Wir sind von unseren Lesern abhängig; und zwar komplett.

derStandard.at: Wird es Geschichten mit Österreich-Bezug geben und haben Sie dafür österreichische Journalisten im Talon?

Esser: Wir würden gerne, ich kann aber dazu noch nichts sagen.

derStandard.at: Der Wunsch ist da?

Esser: Ja, es ist ein Vorsatz. Wir sind erst seit kurzer Zeit finanziert und werden eines nach dem anderen angehen. Es müssen nicht unbedingt österreichspezifische Themen sein, aber es können Kollegen aus Österreich sein, die sich um Themen von allgemeinem Interesse kümmern. Den deutschsprachigen Markt wollen wir möglichst gut ausschöpfen. (Oliver Mark, derStandard.at, 8.7.2014)