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Facebook-User unter der Lupe von Wissenschaftlern: bislang gab es für die Forscher kaum Grenzen.

Foto: APA/AP/Joerg Koch

Tausende Facebook-Nutzer haben vor zwei Jahren eine beunruhigende Mitteilung erhalten. Ihr Zugang zum sozialen Netzwerk wurde gesperrt, da es Zweifel an ihrer Identität gebe. Entweder würden hinter den Profilen Roboter stecken, oder die Betroffenen würden gefälschte Namen verwenden. Um am sozialen Treiben auf Facebook wieder mitmischen zu können, müssten sie ihre Identität nachweisen, lautete die Aufforderung.

Tatsächlich gab es allerdings keine Zweifel an der Identität. Facebook wusste, dass die Nutzer real sind. Bei der Mitteilung handelte es sich um einen Test, um die Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung zu verbessern. Im Endeffekt hat kein Nutzer seinen Zugang dauerhaft verloren.

Hinter dem Experiment standen die Datenwissenschaftler des US-Konzerns, eine Gruppe von etwa zwei Dutzend Forschern mit weitreichenden Möglichkeiten. Sie haben Zugriff auf die weltweit wichtigste Datensammlung: die Träumereien, Bewegungen und Gefühle der 1,3 Milliarden Facebook-Nutzer rund um den Globus.

Die bislang unbekannte Gruppe kam diese Woche wegen eines brisanten Experiments mit den eigenen Nutzern in den Blickpunkt. Dabei wurden die Newsfeeds von knapp 700.000 Mitgliedern ohne deren Wissen manipuliert. Die Forscher wollten herausfinden, wie sich positive Nachrichten auf die Gefühle der Nutzer auswirken. Dabei fanden sie heraus, dass Nutzer, denen mehr positive Einträge angezeigt wurden, auch selbst positivere Beiträge schrieben - und umgekehrt.

Sheryl Sandberg, Chief Operating Officer von Facebook, verteidigte die Studie am Mittwoch. Das Experiment sei Teil von laufenden Forschungsprojekten, mit denen Unternehmen verschiedene Produkte testen. Allerdings sei die Studie schlecht kommuniziert worden, gestand die Managerin ein.

Bis vor kurzem hatten die Datenwissenschaftler kaum Grenzen, sagen ein ehemaliges Teammitglied sowie externe Forscher. An Universitäten sind Wissenschaftler üblicherweise angehalten, die Zustimmung von Studienteilnehmern einzuholen. Facebook verlässt sich dabei auf das Einverständnis der Nutzer zu den allgemeinen Geschäftsbedingungen. Zu dem Zeitpunkt der Studie hieß es, dass Daten zur Verbesserung von Facebook-Produkten genutzt werden können. Nun heißt es in den Bedingungen des US-Konzerns, dass Daten für Forschungszwecke verwendet werden könnten.

"Es gibt dabei keinen Überprüfungsprozess"

"Es gibt dabei keinen Überprüfungsprozess", hatte Andrew Ledvina gesagt, der von Februar 2012 bis Juli 2013 bei Facebook als Datenwissenschaftler tätig war. Er hatte an der Studie mitgearbeitet, bei denen die Nutzer aufgefordert werden, ihre Identität nachzuweisen. "Jeder innerhalb des Teams hätte einen Test ausführen können", erklärte Ledvina. "Sie versuchen immer, das Verhalten von Nutzern zu verändern."

Ledvina erinnert sich an einen weniger umfangreichen Test, bei dem er selbst und ein Produktmanager eine Untersuchung durchführten, ohne andere Mitarbeitern davon zu berichten. Es wurden so viele Tests durchgeführt, dass einige Datenwissenschaftler befürchteten, dass manche Nutzer in mehr als nur ein Experiment einbezogen würden, was letztlich die Ergebnisse verfälschen würde.

Facebook betont nun, dem Team aus Datenwissenschaftlern seit dem Experiment über die Gefühlsbeeinflussung engere Grenzen gesetzt zu haben. Mindestens seit Beginn dieses Jahres werden Forschungsprojekte, die über die reine Routineuntersuchungen zu Produkten hinaus gehen, von einem Gremium geprüft, das sich aus 50 internen Datenschutzexperten zusammensetzt. Deren Namen wollte Facebook nicht nennen.

Interne Experten überprüfen die Arbeiten

Forschungsarbeiten von Facebook, die in akademischen Zeitschriften veröffentlicht werden sollen, werden zusätzlich von internen Experten unter die Lupe genommen. Einige dieser Fachleute seien auch Mitglied im Team der eigenen Datenwissenschaftler, so Facebook. Namen wollte das Unternehmen auch hier nicht angeben. Ein Facebook-Sprecher erklärte, dass weitere Veränderungen geplant seien.

Seit der Gründung im Jahr 2007 haben die Datenwissenschaftler mehr als 1.000 Experimente durchgeführt. Dabei haben sie beispielsweise untersucht, wie innerhalb von Familien kommuniziert wird oder was die Gründe für Einsamkeit sind.

Die meisten Teammitglieder haben einen Doktortitel an großen Universitäten in Bereichen wie Informatik oder künstliche Intelligenz erworben. Einige hatten bereits an wissenschaftlichen Forschungsprojekten mitgearbeitet, bevor sie zu Facebook kamen. Viele Forschungsarbeiten des Unternehmens sind weniger kontrovers als die Studie über Gefühle.

Viel Anerkennung für Facebook wegen der Studien

Der derzeitige Unruhe sei nur ein flüchtiger Blick auf breit gefächerte Praktiken, erklärt Kate Crawford, Gastprofessorin für Medienforschung am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Unternehmen sehen Nutzer laut Crawford als ein bereitwilliges Testobjekt an.

Facebook erhalte allerdings auch viel Anerkennung für die Vielzahl an Studien, die das Unternehmen der Öffentlichkeit zur Verfügung stelle, meint Clifford Lampe, Professor an der Universität School of Information in Michigan. Würde Facebook keine Studien mehr veröffentlichen, wäre das ein echter Verlust für die Wissenschaft, so Lampe.

Ledvina erklärte, dass einige Forscher eifrig über die Vorteile der Studie debattierten, bei denen Nutzern vorgeworfen wurde, sie seien Roboter. Moniert werde, dass keine der betroffenen Personen darüber informiert wurde, dass es sich bei dem Fall um einen Test handelte, sagte der frühere Datenwissenschaftler von Facebook. "Ich bin sicher, dass einige Personen sehr verärgert sind", sagt Ledvina. Man selbst, so räumt er ein, werde innerlich bei der ganzen Sache aber unempfindlicher. (Reed Albergotti, wsj.de/derStandard.at, 6.7.2014)