Der Wahrscheinlichkeitstheoretiker Mathias Beiglböck.

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Die Finanzwirtschaft gründet ihre Strategien auf einer ganze Reihe von Werkzeugen, die helfen, den Markt einzuschätzen. Banken, staatliche Institutionen und Beratungsunternehmen verwenden eine Vielzahl finanzmathematischer Modelle, etwa um Wertpapiere zu bewerten. Ein bekanntes, oft verwendetes Hilfsmittel dieser Art ist beispielsweise das Black-Scholes-Modell zur Bewertung von Finanzoptionen. Seit seiner Entwicklung in den frühen 1970er-Jahren wird es verwendet.

Mathias Beiglböck, Mathematiker an der Uni Wien, untersucht die Probleme, die die Nutzung solcher Modelle zur Folge haben können. "Es ist wichtig, zu verstehen, was das Gesamtrisiko ist", erklärt der 1980 geborene Wissenschafter, der sich selbst als Wahrscheinlichkeitstheoretiker, nicht als Finanzmathematiker sieht.

Wenn man Lotto spielt, könne man sich das Risiko innerhalb des Modells genau ausrechnen, erklärt Beiglböck. Auch den Aktienmarkt könne man mithilfe der Wahrscheinlichkeitstheorie modellieren. Allerdings: "Man weiß dort nie, ob das Modell, das man den Berechnungen zugrunde legt, auch das richtige ist. Das ist, wie wenn die Lottogesellschaft nicht sagen würde, welche Spielregeln es gibt und wie die Ziehungen funktionieren."

Ein Problem vieler dieser Modelle sei, dass sie ihre Anwender glauben machen, dass extreme Dinge nicht passieren können. "So etwas wie die Finanzkrise der vergangenen Jahre dürfte in vielen Modellen eigentlich nur alle paar Hundert Jahre auftauchen." Die - offensichtlich nicht realistischen - Modellergebnisse würden dann verwendet, um "gegenüber den Regulatoren so zu tun, als ob alles in Ordnung wäre".

"Ich möchte verstehen, was schiefgeht, wenn man mit dem falschen Modell arbeitet. Welche extremen Dinge, Best- und Worst-Case-Szenarios sind denkbar?" Denn auch nach der Finanzkrise rechtfertigten Banken etwa ihre geringen Eigenkapitalquoten mit mathematischen Modellen, die eine falsche Sicherheit vorspiegeln könnten.

Für seine Forschungsansätze bekam Beiglböck heuer einen START-Preis zugesprochen, vergeben durch Wissenschaftsministerium und Wissenschaftsfonds FWF, eine Auszeichnung, die für den Mathematiker den Verbleib in der Wissenschaft möglich macht: "Weniger als zehn Prozent der Leute, die ein Doktorat machen, können auf Dauer an einer Uni bleiben. Sie werden vom System ausgespuckt und landen in der Privatwirtschaft, einem Umfeld, das die dann über 40-Jährigen vorher nie gesehen haben", kritisiert Beiglböck. "Ich habe eigentlich gegen meine Vernunft gearbeitet, indem ich an der Uni blieb." Für ihn ist die Strategie dennoch aufgegangen. "Es gibt aber viele Leute, die nicht bleiben können, obwohl sie genauso talentiert sind und genauso hart arbeiten."

Die mathematische Vernunft zog Beiglböck schon früh in ihren Bann. "Ich habe schon im Kindergarten gerne gerechnet", sagt er. "Rechnen war wie Legospielen." In der Volksschule wollte er Mathelehrer werden - bis er herausfand, dass es an den Universitäten Menschen gab, die sich noch mehr mit Mathematik beschäftigen. Jetzt ist er einer davon. (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 9.7.2014)