James Hetfield und Metallica gaben live in Wien alte, das Kurzzeitgedächtnis zerstörende Klassiker wie "Master Of Puppets".

Foto: Robert Newald

Wien - Ein wenig faul ist es ja schon, wenn man die jahrzehntelange Live-Routine gerade dadurch brechen will, dass man das Publikum darüber abstimmen lässt, was gespielt werden soll. Heraus kommt über Internet- und SMS-Voting ziemlich genau jenes Programm, das man schon vor 20 Jahren auf Autopilot spielen konnte. Damals firmierte man in der Szene noch unter dem Spitznamen Alcoholica - und funktionierte mit fantastischen Konzerten wie jenem 1992 in der Wiener Stadthalle trotzdem hervorragend.

Metallica befinden sich derzeit im vierten Jahrzehnt ihrer Karriere wieder einmal auf Dienstreise. Das aktuelle Programm der erfolgreichsten Metalband aller Zeiten nennt sich "Metallica By Request". Die kalifornischen Thrash-Metal-Pioniere machten damit vor 50.000 Besuchern auf der für Konzerte überraschend geeigneten Trabrennbahn in der Wiener Krieau Station. Sound gut, Wind stark, etwas kühl.

Der Konzertbeginn des Hauptacts war nach üblich verdächtigen Vorbands wie Children of Bodom und den wieder einmal wiedervereinten Alice In Chains fußballfreundlich angesetzt. Möglicherweise machte die FIFA Druck, aber nach dem Konzertende konnte man noch die Verlängerung und das Elferschießen im Halbfinale von Don't cry for me Argentina gegen Jetzt fliegen gleich die Löcher aus dem Käse sehen.

Mitte des Lebens

Metallica mögen in der Mitte ihres Lebens zwar mittlerweile in Ehren ergraut sein und auf den Großbildschirmen der Bühnenkonstruktion etwas abgerockt, allerdings längst trockengelegt flimmern. Und auch Schlagzeuger Lars Ulrich zeigte speziell bei langsamen Songs wie dem von Ennio Morricones Italo-Western-Soundtracks beeinflussten "The Unforgiven", dass die im Metal wie im Publikum obligate Handwerkerehre oft durch Form- und Temposchwankungen auf den Boden des Heimwerkertums zurückgeholt wird. Allerdings hackten sich die Gitarristen James Hetfield, Kirk Hammett und der auch schon wieder seit zehn Jahren neue Bassist Robert Trujillo im satten Frequenzbereich eines Murenabgangs im Hochgebirge souverän und rüstig durch alte Klassiker wie "Battery", "Master Of Puppets" und "Ride The Lightning".

Gerölllawine

Doppelte Bassdrum, Gerölllawine am Bass, kreischende Soliergitarren, dringlich das individuelle Leid in der Masse und im System und auf der Welt kritisierender Gesang aus dem Solarplexus. Wenn etwas nicht passt, wohnt dort auch das Ungutdraufsein. James Hetfield hat jede Menge Protest in sich. Beim Song "One", in dem es um einen auf der Intensivstation liegenden US-Soldaten geht, marschieren Skelette über die Bildschirme. Düster-sinnierender Nihilismus, Schmerz, Verzweiflung, Hass.

Etwas verstörend wirkt es, dass Hetfield dazwischen fragt, ob es uns gut geht und ob wir heavy wollen. Ja, wir wollen mächtig heavy. Viel mehr heavy, als mit tiefergestimmten Gitarren im Bauch von Wien zu rumoren, geht aber ohnehin nicht. Wir haben es mit zwischenzeitlich wunderbar amelodiösem, antimusikalischem Musikermuckertum und testosteronhaltigem Rabatz auf turbofrisierter Bluesrockbasis zu tun, der aufgrund einer Fügung des Schicksals vor einem Vierteljahrhundert durch die Beifügung gemütlicherer Hardrockelemente und Grölrefrains zu Stadiongröße wuchs. Seitdem geben Metallica Stadionkonzerte, machen herrlich mutige Gruppentherapiefilme wie "Some Kind Of Monster" und stellen zu alten, in Wien selbstverständlich gegebenen Kurzzeitgedächtnis-Zerstörungsklassikern wie "Blackened", "Enter Sandman", "Nothing Else Matters" und "Seek & Destroy" neuere Vorschläge aus dem Themenbereich Aktion, Reaktion, Abreaktion.

Der neue "extra für die Tour" (hey!) geschriebene Song "Lords Of Summer" kommt dabei noch nicht so gut bei den Leuten an. Er klingt allerdings wie eine fünfminütige Zusammenfassung für eilige Metallica-Laufkundschaft. Metallica, das geht so: Hack, hack. Stop. Go. Bretter, bretter. Zupf, ziselier. Bretter, bretter. Hack, stampf. Stop. Go. Crash. Uaaaaarrrrrrrgh! Die! Kill!

Ungefähr 95 Prozent aller im Publikum wie auf der Bühne trugen die Lieblingsfarbe des Johnny Cash. Sie alle sahen für einen Einzug von Orange ins Finale schwarz. (Christian Schachinger, derStandard.at, 10.7.2014)