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John Kerry und Xi Jinping

Foto: AP Photo/Andy Wong

Die Warnung im derzeit hochgereizten Verhältnis zwischen China und den USA, nicht zu vergessen, wie viel auf dem Spiel steht, kam ausgerechnet von Staatschef Xi Jinping selbst. Er richtete sie im vollbesetzten Festsaal des Staatsgästehauses Diaoyutai jedoch nicht nur an die USA, sondern bezog sein Land mit ein. "Wenn unsere Staaten auf Konfrontationskurs gehen, bedeutet das für sie und die Welt mit Sicherheit eine Katastrophe."

Zum Auftakt der zwei Tage dauernden sechsten Runde des strategischen und wirtschaftlichen Dialogs, zu dem aus Washington neben den US-Verhandlungsführern Außenminister John Kerry und Finanzminister Jacob Lew noch acht weitere Kabinettsminister anreisten, warb Xi darum, dass es ganz anders kommt: "Wenn beide Länder zusammenarbeiten, können sie große Dinge zu ihrem Nutzen und zu dem der Welt bewerkstelligen." Er habe mit Präsident Barack Obama vor einem Jahr im Juni in den USA vereinbart, dass sie sich beide für den Aufbau eines "neuartigen Großmacht-Verhältnisses" untereinander einsetzten würden.

Sie hätten ihre Absicht auf nachfolgenden Treffen in St. Petersburg und Genf bekräftigt, um eine "traditionelle Gesetzmäßigkeit zu durchbrechen", wonach Großmächte aufeinanderprallen müssten. "Wir brauchen Probleme zwischen uns nicht zu fürchten, solange wir sie gemeinsam lösen wollen und uns nicht von ihnen treiben lassen." Beide Staaten müssten lernen, ihre jeweiligen Kerninteressen zu respektieren und mit ihren Differenzen umzugehen.

"Strategische Geduld

Xi appellierte an die "strategische Geduld", um nicht "jede einzelne Aktion" oder "jedes einzelne Wort" in die Waagschale legen zu müssen. Ausschlaggebend sei, was beide Staaten über ihre jeweiligen strategischen Absichten denken. Das würde sich direkt auf ihre Politik auswirken. "Wir können es uns nicht leisten, in grundsätzlichen Fragen Fehler zu machen, sonst gerät uns alles auf den Fugen."

US-Außenminister Kerry, der neben Xi auf dem Podium saß, lobte "diese starke Erklärung" des Präsidenten. Zu viele "falsche" Behauptungen seien im Umlauf, dass die USA das aufsteigende China "eindämmen" wollten. Es gebe auch keinen Automatismus, wonach es zwischen einer etablierten Macht und einer neu aufsteigenden zur Konfrontation kommen müsse. "Das ist nicht etwas Unvermeidbares. Es ist eine Wahl." Die USA hätten sich verpflichtet, "ein neues Modell" in ihren Beziehungen zu China aufzubauen.

Dies sei ein "Ziel" beider Seiten, stehe in dem Brief, den Obama ihm für Xi mitgab:. "Wir sind entschlossen, dafür zu sorgen, dass der Gedanke der Zusammenarbeit die gesamten Beziehungen bestimmt." Kerry schränkte die Worte seines Präsidenten aber wieder ein: Ein neues Modell definiere sich nicht "über Worte, sondern durch Taten".

"Nicht in einem rivalisierenden Wettbewerb"

Er wiederholte das Statement auf seiner Abschlusspressekonferenz am Donnerstag. Aber da klang es viel freundlicher. Das angestrebte neue Verhältnis müsse darauf beruhen, dass beide Seiten die Standards und Normen internationalen Verhaltens einhalten. Kerry zog eine positive Bilanz des breitgefächerten Dialogs mit 60 Themen, die die hochrangigen Vertreter der USA mit Vizepremiers und Ministern Chinas führten.

Kerry stellte klar: "Wir befinden uns nicht in einem rivalisierenden Wettbewerb mit China." Beide Seiten können mit ihren Differenzen umgehen. Zu ihnen gehöre, dass die USA für Menschen- und Friedensrechte eintreten und dies auch in ihren Gesprächen taten. Sie hätten ihre "Besorgnis" über die jüngsten Verhaftungen von Aktivisten und Anwälten zum Ausdruck gebracht.

Kerry musste selbst erleben, dass Peking innenpolitisch eine harte Linie fährt. Für seinen Empfang durch die US-Botschaft waren auf der Gästeliste auch die tibetische Bloggerin Tsering Woeser und ihr Mann Wang Lixiong eingeladen. Sie wurden kurzerhand unter Hausarrest gestellt, der erst Donnerstagabend wieder aufgehoben wurde. Gleiches war auch bei der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel passiert. Peking verwehrte in der deutschen Botschaft zu ihrem Empfang eingeladene Frauenrechtlerinnen den Besuch.

Neue Projekte zur Reduktion von Treibhausgasen

Es gebe dennoch mit Peking mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen, sagte Kerry. Das betreffe etwa die sich besonders intensiv entwickelnde Kooperation zur Aktionen gegen den Klimawandel und dazu verabredeter neuer Projekte zur Minderung von Treibhausgasen. Beide Staaten, die zusammen für 45 bis 48 Prozent der Emissionen verantwortlich sind, seien ungleich stärker als noch vor zwei Jahren dazu bereit.

Besser funktioniere die Zusammenarbeit auch bei außenpolitischen Fragen, wie der Lage in Afghanistan oder im Mittleren Osten. Auch wollen sie ihren Forderungen nach De-Nuklearisierung Nordkoreas durch eine verstärkte Umsetzung der UN-Sanktionen mehr Gewicht geben. Die USA und China setzten ihre Sanktionen verschärft durch. Kerry sagte, dass noch mehr getan werden könnte.

Nordkorea meldete sich zwischendurch indirekt zum China-USA Dialog zu Wort, als es am Mittwoch zwei Scud-Raketen ins Meer schoss - der inzwischen fünfte Abschuss von Lenkraketen, mit denen Pjöngjang weiter gegen UN-Resolutionen verstieß.

Gegenseitige Frühwarnsysteme

Kerry sagte, dass die Gespräche über mehr militärische Zusammenarbeit "in die Tiefe" gingen, besonders über den Aufbau gegenseitiger Frühwarnsysteme, um Fehleinschätzungen zu vermeiden. Die USA und China wollten auch mehr gemeinsam zur Abwehr der Proliferation von Massenvernichtungswaffen tun und hätten dazu eine eigene Arbeitsgruppe ins Leben gerufen.

Von "echten Fortschritten" bei dem Dialog sprach auch Finanzminister Lew. In der alten Streitfrage über Chinas künstlich verbilligte, nicht konvertible Währung sei neue Bewegung gekommen. Chinas Finanzpolitik habe zugesagt, graduell ihre Interventionen auf den Weg zu einer marktgestützten Wechselkursrate zu reduzieren. "Das ist ein großer Wandel." Auch bei dem seit 2008 in 13 Runden verhandelten Investitionsschutzabkommen (BIT) sei vereinbart worden, ab Frühjahr 2015 direkt in die zweite Phase einzutreten und die sogenannte "Negativliste" zu verhandeln.

Die Liste legt fest, wie viel Marktzugang Peking US- Unternehmen erlaubt. Nur was auf ihr steht, wird weiter vom Staat reglementiert, wie etwa der Medienbereich, in dem Peking kein ausländisches Kapital sehen will. Die USA fordern eine stark reduzierte "Negativliste", um mehr Marktzugang zu erhalten. Doch Peking stellt seine Gegenforderungen, verlangt, dass die USA ihre Vorschriften zur "nationalen Sicherheitsprüfung" überarbeiten.

Verhandlungen über Investitionsabkommen

Viele Investitionsabsichten Chinas in den USA scheiterten daran. Washington verwehrte etwa dem Ölmulti CNOOC, ein US-Erdgasunternehmen zu übernehmen. Es verbot auch dem chinesischen Netzwerke-, Telekom- und IT-Giganten Huawei in den USA zu investieren. Xinhua nennt das "verdeckten Protektionismus". Zudem verkaufen die USA an China keine sogenannte "Dual Use"-Hochtechnologie, die militärisch genutzt werden könnte.

Schon in seiner Auftaktrede hatte Staatschef Xi gefordert, die Verhandlungen über das Investitionsabkommen zu beschleunigen, um für das beiderseitige Verhältnis positive Signale setzen zu können. Seine Rechnung ging auf. Peking und Washington fühlen sich gedrängt. versöhnliche Botschaften auszutauschen. Denn es knirscht in ihrem Verhältnis inzwischen so laut, dass viele Beobachter am Sinn des zähen "strategischen und wirtschaftlichen Dialogs" beider Staaten miteinander zweifeln. "Diese Treffen", kommentierte selbst die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua, stehen unter Misstrauen. Washington hege "unzweifelhaft Vorbehalte gegenüber Chinas friedlicher Entwicklung, während Peking besorgt auf die sich neu aufstellende US-Asienpolitik blickt, die auf verstärkte militärische Allianzen mit ihren Verbündeten setzt."

Territorialstreit mit Japan im ostchinesischen Meer,

Die Liste gegenseitiger Irritationen und Misstrauen ist lang. Washington kritisierte Chinas Vorpreschen im Territorialstreit mit Japan im ostchinesischen Meer, die Ausrufung einer Luftüberwachungszone und Pekings gefährlich eskalierte Territorialkonflikte im südchinesischen Meer mit Vietnam und den Philippinen. Die USA prangerten Chinas militärische Aufrüstung an. Peking verbat sich scharf die Einmischung.

Im Mai klagte der US-Generalstaatsanwalt fünf chinesische Offiziere an, als Internethacker US- Wirtschaftsgeheimnisse ausgespäht zu haben, stellte Haftbefehle aus und verlangte ihre Auslieferung. Peking suspendierte die gerade von Obama und Xi gegründete China-US Cybergruppe zur gemeinsamen Bekämpfung von Internetkriminalität. Zornig reagierte es auch auf von den USA angemeldete Vorbehalte gegen seine Anti-Terrorismuskampagnen, die sich vor allem gegen die uigurischen Minderheiten richteten. Staatsrat Yang Jiechi warnte am ersten Tag der politischen Gespräche in Peking davor, mit zweierlei Maß zu messen. Nun scheinen beide Staaten vorerst wieder die Kurve miteinander bekommen zu haben, statt aus ihr zu fliegen. (Johnny Erling aus Peking, derStandard.at, 11.7.2014)