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Barack Obama bezieht verbale Prügel.

Foto: Reuters

Larry Summers war einmal einer der wichtigsten Berater Barack Obamas. Als die Finanzkrise die USA in eine tiefe Rezession stürzte, leitete er den Rat der Wirtschaftsweisen. Zurückgekehrt an die Uni Harvard, legt er sich öffentlich an mit dem Präsidenten. "Trainer wissen, dass es für eine Mannschaft nichts Gefährlicheres gibt, als sich aus Angst vor Fehlern in die Defensive zurückzuziehen", schreibt Summers in der Washington Post. Das gelte auch fürs Weltgeschehen.

Übertriebene Vorsicht im Namen der Besonnenheit drohe fatale Folgen zu haben, warnt der Professor. Es ist die Warnung vor dem Vakuum, vor dem strategischen Chaos, wie sie in Washington heute fast zur Grundmelodie geopolitischer Aufsätze gehört.

Ein zweiter Leitgedanke liest sich dann ungefähr so: Obama, der ernüchterte Optimist, hat das Interesse an einer Welt verloren, die sich nicht nach seinen Wünschen richtet. Speziell an einem Nahen Osten, der partout nicht der schönen Vision folgen will, wie er sie in seinen frühen Reden - in Kairo, in Istanbul - wunderbar skizzierte. Die Hoffnung, Ägyptens Generäle würden ihr Land zurückführen auf den Pfad der Demokratie, hat sich als trügerisch erwiesen.

Ein hilfloser Lehrer...

Gleiches gilt für die naive Annahme, der Syrer Bashar al-Assad würde seine Macht freiwillig abgeben, wenn Washington und Moskau eine Friedenskonferenz zimmern. Beschwört Obama die Bildung eines ausbalancierten Kabinetts in Bagdad mit Sunniten, Schiiten und Kurden, hat er in der Sache zwar recht, er wirkt dabei aber wie ein hilfloser Lehrer, dessen Mahnungen wirkungslos verpuffen.

Israelis und Palästinenser wiederum hielten sich nicht an den US-Fahrplan, wonach zehn Monate Verhandlungen reichen sollten für eine Zweistaatenlösung.

Auch die Krise um die Ukraine schwelt weiter; und in Scharmützeln um ostasiatische Inseln testet China seine Macht. Seit dem Ende des Kalten Krieges habe es zu keiner Zeit so viele Brandherde auf einmal gegeben wie heute, doziert Walter Russell Mead, ein Außenpolitikexperte der konservativen Mitte. "Das ist nicht das, wie sich Amerikaner die Welt in der dritten Dekade nach dem Fall der Berliner Mauer vorgestellt haben." Eher sei es ein brutales Erwachen; etwas, was Obama mit seinem Vorgänger George W. Bush verbinde: Beide hätten "radikal unterschätzt, welche Gefahren auf dem Weg des historischen Fortschritts lauern".

... und ein angewiderter Poet

Kurzum: Obama muss sich nachsagen lassen, er wirke wie ein angewiderter Poet, nicht mehr willens, sich in die Niederungen zähen Verhandelns zu begeben. Der gescheiterte Vermittlungsversuch in Nahost mag als Fallstudie gelten. Während sich Außenminister John Kerry aufrieb als Pendeldiplomat zwischen Jerusalem und Ramallah, schaltete sich der Staatschef nie so sichtbar in den Dialog ein, dass man echten Druck spürte. Bill Clinton hatte Ehud Barak und Yassir Arafat nach Camp David gebeten, in der Hoffnung, dass beide über ihren Schatten springen. Bei Obama deutete nichts darauf hin, dass er Ähnliches vorhatte.

Anne-Marie Slaughter, einst Planungschefin im State Department, greift den Vormarsch der IS-Rebellen heraus und kreidet Obama an, fahrlässig gezaudert zu haben, als zur Debatte stand, die moderate Opposition zu bewaffnen.

Es gebe schlicht keinen realistischen Ersatz für eine Weltordnung à la USA, und man lasse die Kirche doch bitte im Dorf, meint Princeton-Politologe John Ikenberry. "Weder China noch Russland haben Visionen für eine alternative Ordnung", beiden gehe es um Kommerz und Ressourcen und, wo möglich, um regionale Dominanz - nicht aber um den globalen Gegenentwurf. (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, 11.7.2014)