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Die Hauptlast der großen Flüchtlingszahlen trägt in Europa der Süden des Kontinents.

Foto: REUTERS/Juan Medina

Ist es Erpressung, wenn sich junge Afghanen in Finnland den Mund zunähen, um eine drohende Abschiebung zu verhindern? Oder Asylwerber den Berliner Fernsehturm besetzen, nachdem sie eine Woche zuvor gedroht haben, vom Dach einer Schule zu springen, wenn ihnen die EU kein Bleiberecht gewährt?

Kaum ein Tag vergeht, an dem keine neuen Meldungen über Asylproteste oder ertrunkene Flüchtlinge im Mittelmeer in den Redaktionen eintreffen. Mehr als 50 Millionen Menschen sind laut UNHCR derzeit auf der Flucht (siehe Infografik), doch tatsächlich Zuflucht zu finden, wird angesichts der Ausmaße immer schwieriger.

Während westliche Regierungen mit dem Anstieg der Asylsuchenden überfordert sind und Gesetze erlassen, die Abschiebungen erleichtern, treibt die Verzweiflung manche Asylwerber zum Äußersten: In einem australischen Flüchtlingslager haben diese Woche mehrere Mütter versucht, sich das Leben zu nehmen, um die Chancen ihrer Kinder auf Asyl zu erhöhen. Ministerpräsident Tony Abbott reagierte gelassen - er sei weit davon entfernt, vor moralischer Erpressung zu kapitulieren.

Tendenz steigend

Die Zahlen zum heutigen Weltbevölkerungstag legen nahe, dass sich bald noch mehr Menschen auf den Weg machen werden in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Der Großteil der 1,8 Milliarden jungen Menschen lebt in Entwicklungsländern, in denen sie kaum Perspektiven haben. Doch wer vor Armut oder Hunger flieht, hat keinen Anspruch auf Asyl.

Doch die Aussicht auf eine mögliche Abschiebung oder gar den Tod hält kaum jemanden vom Versuch ab: Die klapprigen Boote der Schlepperbanden sind weiter zum Bersten voll mit Migranten. Bis zu 10.000 Euro zahlen sie für eine Überfahrt, nicht selten das ganze Ersparte einer Familie oder gar eines Dorfes.

Seit dem Unglück vor Lampedusa mit 361 Toten fischt die italienische Marine Tag für Tag Ertrinkende aus dem Meer. Viele können nicht schwimmen, geschweige denn die vollkommen überteuerten Schwimmwesten der Schlepper bezahlen.

Hauptlast auf dem Süden Europas

Was für die einen ein Milliardengeschäft ist, ist für die anderen ein finanzielles Desaster. Dank der Dublin-II-Verordnung, wonach Asylwerber im Erstaufnahmeland bleiben müssen, trifft die Hauptlast den Süden Europas. "Mare Nostrum", die Rettungsoperation der italienischen Marine, kostet täglich rund 300.000 Euro. Knapp neun Millionen Euro, die Italien jeden Monat dafür alleine aufbringt.

Innenminister Angelino Alfano weiß schon gar nicht mehr, mit welchen Horrorszenarien er die restlichen EU-Staaten zur Unterstützung bringen kann - erst am vergangenen Dienstag blitzte er wieder ab.

Was die EU-Staaten allerdings bereitwillig mitfinanzieren, ist der Grenzschutz. Das geht sogar so weit, dass nordafrikanische Staaten Geld von der EU bekommen, um Menschen an der Ausreise nach Europa zu hindern. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International verurteilen diese Praxis scharf.

Tausend versus Millionen

Während die EU-Mitgliedsstaaten noch untereinander streiten und verhandeln, wer wie viele Tausend Flüchtlinge aufnehmen soll, gehen die Zahlen in den Nachbarländern von Syrien bereits in die Millionen.

1,1 Millionen syrische Flüchtlinge leben offiziell zurzeit im Libanon, fast 800.000 sind in die Türkei geflüchtet und mehr als 600.000 nach Jordanien. Ein Ende der Syrienkrise ist nicht in Sicht. Die relativ kleinen Aufnahmeländer ächzen unter der Belastung und fürchten sich vor einer weiteren Welle aus dem Irak, seit die radikalislamische Terrorgruppe Islamischer Staat dort wütet.

DER STANDARD hat die aktuellen Entwicklungen zum Anlass genommen, um das Thema Flucht und Asylpolitik in einer Serie von verschiedenen Blickwinkeln aus zu beleuchten. Lesen Sie im nächsten Teil eine Reportage über Binnenvertriebene in der Ukraine. (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 11.7.2014)