Grafik: Der Standard

Biotop mit Blick auf den Gosaukamm: die Schwarze Lacke.

Foto: Thomas Neuhold

Der einzige Nachteil einer Großglocknerbesteigung ist, dass man von dessen Gipfel aus den Glockner nicht sieht. In Fortsetzung dieses alten Bergsteigerbonmots könnte man auch sagen, dass es oftmals die kleineren, weniger prominenten Gipfel sind, die uns eine formidable Aussicht bieten - vorausgesetzt, sie liegen so zentral wie das 1827 Meter hohe Hochgründeck nahe St. Johann im Pongau oder der mit 1728 Meter etwas niedrigere Gerzkopf südlich davon.

Einzigartiges Naturparadies

Beide Bergkuppen liegen ziemlich genau in der Mitte des Landes Salzburg, entsprechend ist die Rundumsicht: Dachstein, Gosaukamm, Tennengebirge, Hagengebirge, Hochkönig, Hohe und Niedere Tauern, alles da. Während das Hochgründeck zusätzlich noch mit einer vom legendären Ökopionier Hermann Hinterhölzl errichteten Holzkirche und dem gemütlichen Kiener-Haus lockt, erwartet die Wanderer auf dem Gerzkopf ein einzigartiges Naturparadies. Dieses ist ökologisch so wertvoll, dass es seit 2006 als europäisches Schutzgebiet Natura 2000 ausgewiesen ist.

Drei Vegetationszonen

Grob gesprochen führt die Wanderung in diese Urlandschaft durch drei Vegetationszonen: Bergwald, Latschengürtel, Hochmoor. Alle drei stehen unter strengem Schutz.

Der Bergwald am Gerzkopf ist weitgehend naturbelassen, Forstwirtschaft wird - wenn überhaupt - nur extensiv betrieben. Wer früh genug dran ist, kann Haselhahn, Auerhahn und Birkhahn beobachten, der Specht findet im Totholz seine Nahrung, und der extrem schadstoffempfindliche Baumbart - eine Flechtenart - zeugt als Bioindikator von der Qualität der Umwelt.

Weiter oben, bis an den mit einer großen Glocke geschmückten Gipfel heran, führen die einfachen Wandersteige durch die Latschenzone. „Latschensauna“ heißt es unter Bergsteigern manchmal etwas grimmig, weil an heißen Sommertagen zwischen den Latschen die Luft steht und sich kein kühlender Windhauch regt. Grasmücken und Zaunkönig finden hier ihre Brutplätze.

Essigwasser in der Grauwacke

Die eigentliche Sensation am Gerzkopf sind freilich die Hochmoore und Schwingrasen. Diese in Mitteleuropa seltenen Lebensräume bilden sich, da das Grauwackengestein im Vergleich zum Kalk etwa ziemlich wasserundurchlässig ist. In dem sauren Boden gedeihen Wollgräser und Moormoose. Diese versauern den Boden so stark, dass das Moorwasser mit einem pH-Wert von 3-4 fast so sauer wird wie unverdünnter Essig.

Mit etwas Geduld kann man am Wegesrand - die sensiblen Moorgebiete dürfen keinesfalls betreten werden! - auch seltene Tiere beobachten. Am auffälligsten sind neben Fröschen und verschiedenen Libellenarten die Hochmoortaranteln. Die recht große Wolfsspinnenart ist mit Sicherheit nichts für Arachnophobiker. (Thomas Neuhold, Album, DER STANDARD, 12.07.2014)