Jerker Erikson (li.) und Hakan Alexander Sundquist sind Erik Axel Sund. Unser Bild zeigt die beiden am Schauplatz ihrer Krimitrilogie im Stadtteil Södermalm von Stockholm.

Foto: Ingeborg Sperl

Sie sind ein recht fideles Paar und sehr schnell zur Oberliga der neuen Generation von schwedischen Krimischreibern aufgestiegen: Hakan Alexander Sundquist und Jerker Eriksson leben in Stockholm und schreiben unter dem Namen Erik Axel Sund.

Hakan, quirlig und witzig, trägt schwarzen Nagellack und zerstrubbelte Haare; Erker, er arbeitet zurzeit in einer Gefängnisbibliothek, ist groß, besonnen und mehr der Wikinger-Typ. Sie haben in einer eigenen Punk-Electro-Band gespielt, die derzeit stillgelegt ist, weil die beiden musisch mehrfach Begabten an einer Krimi-Trilogie werken, deren erster Band Krähenmädchen am 21. Juli auf Deutsch erscheint.

Ihre kleine Galerie im Künstlerviertel Stockholms ist quasi das Vorzimmer zur fensterlosen Bücherhöhle dahinter. Dort stehen zwei Bildschirme, Rücken an Rücken, und hier entstand die Victoria- Bergman-Trilogie. "Zu Beginn waren wir Autodidakten. Wir schrieben füreinander, abwechselnd jeder ein Kapitel, um uns gegenseitig zu schocken, es war so eine Art Wettbewerb", schmunzeln sie. Hakan denkt zuerst nach, bevor er schreibt, Jerker fabuliert drauflos und hört dabei lauten Punk im Kopfhörer.

Das Manuskript von Krähenmädchen hatten sie an drei große schwedische Verlage geschickt, die haben es als zu gewalttätig abgelehnt. Dann trafen sie zufällig einen Freund von Liza Marklund, die einen eigenen Verlag gegründet hat und 50 Prozent davon besitzt. Daraufhin ging alles ganz schnell. Das Manuskript wurde bearbeitet, zu brutale Szenen wurden herausgenommen. Man hat Hakan und Jerker eine Trilogie vorschlagen. An der werken sie zurzeit.

Der erste Band beginnt mit einem toten Jungen im Park, der offensichtlich über längere Zeit schwer misshandelt wurde, weitere Morde folgen. Eine Polizeibeamtin und eine Psychologin sind die Hauptfiguren, die die Aufklärung vorantreiben.

Die Autoren kratzen wie auch viele ihrer Kollegen am vorbildlichen Image des Staates Schweden. Grundthema ist das Schicksal unbegleiteter Kinder, die in Schweden um Asyl ansuchen. "Wir nehmen als Ausgangspunkt seriöse Quellen; die Wirklichkeit ist ja oft furchtbarer, als man es sich ausdenken kann. Wir haben zum Beispiel darüber diskutiert, wie lange es möglich ist, in einem geschlossenen, isolierten Raum zu überleben. Inzwischen wissen wir, dass es auch 20 Jahre sein können, wie das Beispiel Fritzl zeigt."

Hakan und Jerker haben selbst erlebt, wie chinesische Kinder bei den Einwanderungsbehörden ihr Sprüchlein von den toten Eltern aufsagten, in ein Auffanglager gebracht wurden und zwei Tage später spurlos verschwunden waren. Haben sie Verwandte geholt? Sind sie Pädophilen in die Hände gefallen? Diese ungewissen Schicksale beschäftigen die beiden: unregistrierte Kinder als Freiwild für Psychopathen aller Art, von niemandem vermisst.

In 36 Sprachen übersetzt

Ihre psychologischen Kenntnisse haben sie sich über Fachliteratur angeeignet, die in den Regalen der Bücherhöhle aufgereiht sind. Zudem fungierte Jerkers Freundin, eine Psychologin, als Auskunftsperson. Sie hat Jerker allerdings während der Arbeit am Krimi verlassen. Er will diesen Sommer einen neuen Anlauf nehmen und seine derzeitige Freundin heiraten.

Bei einem Spaziergang durch Södermalm zeigen Hakan und Jerker die Schauplätze ihrer Trilogie. Eine Brücke, die bei Selbstmördern so beliebt war, dass sie mit einem Käfig umschlossen werden musste und auf der sich Hakan sichtlich unwohl fühlt, liegt einem vornehmen Haus gegenüber, in dem sich ein Mord ereignet. Ein Viertel voller Hipster, lauter schönen jungen Menschen, die in ihrer Perfektheit wirken wie aus dem Computer generiert, bildet eine schicke Kulisse. Es gibt jede Menge Galerien und Vintage-Shops, dazwischen einen Rasen mit Bäumen mitten in der Stadt, einige Grabsteine, regellos verstreut. Schlicht und anrührend in seiner protestantischen Bescheidenheit das Grab der 2003 ermordeten Ministerin Anna Lindh mit einem kleinen, rechteckigen Stein; eine Drossel hüpft durchs Gras. Es ist still.

Nicht weit davon entfernt steht ein Haus mit der Praxis der Roman-Psychologin Sofia Zetterlund. Und dahinter der "White Mountain". Der Name klingt romantisch, hat aber seinen Ursprung in bitterster Armut. Auf diesem Hügel lebten einst Arbeiter in elenden Hütten. Die Wäsche, die zum Trocknen im Freien aufgehängt wurde, verlieh dem Hügel seinen Namen.

Heute ist er Picknickfläche und ein Ort, an dem im Sommer allerlei kulturelle Aktivitäten stattfinden. Aber wie vieles in dieser idyllischen Stadt ist auch der White Mountain doppelbödig: Unter den meterdicken Granitfelsen verbergen sich Kavernen, in denen riesige Server atombombensicher untergebracht sind, unter anderem, erzählt Jerker, "auch der Wikileaks-Server, und Victoria Bergman hat hier ihre Geheimnisse gebunkert."

Es führen Schächte ins Freie, wo es im Winter herausdampft, weil die Maschinen tief drinnen im Felsen gleichmäßige Temperaturen brauchen. Auch das wird in einer der Krimiszenen vorkommen. Krähenmädchen wird gerade in 36 Sprachen übersetzt. Hakan und Erker scheinen den Anschluss an ihre berühmten Kolleginnen geschafft zu haben. Namen wie Kerstin Ekman, Camilla Läckberg, aber auch Pär Lagerkvist, Leif G. W. Persson oder Kurt Vonnegut fallen, wenn sie an Lieblingsautorinnen denken. Dazu kommen noch "Klassiker" wie Heinrich Böll oder John Steinbeck. Ganz allgemein meinen die beiden, dass es von Vorteil ist, wenn immer mehr Menschen gute Krimis lesen. "Dadurch werden die Ansprüche an eine niveauvolle Sprache höher, und das Genre insgesamt verbessert sich."

Es ist anheimelnd und luxuriös im Hotel Rival in der Mariatorget; Der Krimi liest sich großartig auf dem Balkon, der über den Baumkronen schwebt. Ein Springbrunnen mit dem üblichen drachenbesiegenden Helden plätschert vor dem Portal. Bloß schwingt der Held hier nicht das Schwert, sondern einen riesigen Hammer, wahrscheinlich von Thor ausgeliehen.

Die Immigranten leben anderswo, sie sind unsichtbar, es sei denn, sie arbeiten als Taxifahrer. (Ingeborg Sperl, Album, DER STANDARD, 12./13.7.2014)