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Die Koproduktion mit dem Burgtheater als Chance: Georg Schmiedleitner modelliert Kraus.

Foto: APA/ROBERT JAEGER

STANDARD: Wären "Die letzten Tage der Menschheit" ein Stück gewesen, das Sie ohnehin gerne inszeniert hätten?

Georg Schmiedleitner: Ich bin dem Werk etliche Male begegnet. Man baut Szenen daraus in andere Inszenierungen ein. Ganz abgesehen vom Studium, wo ich von Professor Wendelin Schmidt-Dengler auf das Werk aufmerksam gemacht wurde. Er zitierte immer daraus, als wäre er selbst ein bisschen Karl Kraus. Überspitzt formuliert wundert es mich, warum ich das Werk nicht schon inszeniert habe.

STANDARD: Nun ist diese Tragödie mit ihren 800 Buchseiten, die Kraus einem Marstheater zugedacht hatte, für das Salzburger Landestheater vorgesehen. Wäre die weitaus größere Perner-Insel nicht angemessener gewesen?

Schmiedleitner: Es sind mit meinem Engagement so viele Dinge auf mich eingestürzt, dass ich diese Frage im ersten Augenblick gar nicht registriert habe. Ich fand mich auf einer Expedition wieder. Salopp gesagt: Es wäre auf der Perner-Insel spannend gewesen. Ich habe auch im Hausruckviertel politisches Theater in groß dimensionierten Räumen gemacht. Jetzt muss ich mich auf das Landestheater beschränken. Wir haben vorhandene Skizzen noch einmal reduziert und spielen jetzt in einem fast leeren Raum.

STANDARD: Man wird nicht die berühmte Sirk-Ecke sehen und dazu k. u. k. Marschmusik hören?

Schmiedleitner: Wir haben eine Musikkapelle, die die Heftigkeit der Kriegsbegeisterung illustriert. Wir versuchen aber eine Inszenierung, die alle Bebilderungen weglässt, soweit diese historisch sind.

STANDARD: Wer ist der Hauptdarsteller des Stückes? Die Sprache?

Schmiedleitner: Die Sprache muss situativ verortet werden. Sie muss das Spiel hinter sich herziehen. In vielen Situationen sage ich den Schauspielern: Spielt es nicht realistisch. Stellt die Sprache aus, macht sie zum eigentlichen Hauptdarsteller. Gebt ihr eine Stoßrichtung. Kraus hat gesagt, die Sprache würde zur Waffe. Genau so müssen wir auch das Scheitern der Verständigung zur Darstellung bringen. Die Figuren von Nörgler und Optimist reiben sich in brüderlicher Selbstzerfleischung aneinander auf.

STANDARD: Dialektisch?

Schmiedleitner: Gezeigt wird, wie die Figuren an der Sprache scheitern. Das Unternehmen darf nicht zum saloppen Salonstück verkleinert werden.

STANDARD: Sie verlangen sich und dem Ensemble die Selbstüberforderung ab?

Schmiedleitner: Exakt. Am liebsten würden wir jeden Abend einen anderen Ablauf herstellen.

STANDARD: Eine Flut von Literatur über den Ersten Weltkrieg überschwemmt den Markt. Wissen wieder alle alles besser?

Schmiedleitner: Die Sekundärliteratur überrollt uns. Vielleicht ist es trotzdem vorteilhaft, gut informierte Zuschauer vorzufinden. Ich selbst habe mich durch viele Wälzer gekämpft, Christopher Clarkes Schlafwandler habe ich gerade fertig gekriegt.

STANDARD: Neue Erkenntnisse?

Schmiedleitner: Die Barbarisierung durch den Ersten Weltkrieg ist mir neu. Irgendwie hatten einem die Faschismus-Theorien den Blick auf 1914 verstellt. Dazu gehört die Einsicht, dass Erster und Zweiter Weltkrieg zusammengehören.

STANDARD: Worin besteht die Verbindung?

Schmiedleitner: Im Verlust der Illusion von Bürgerlichkeit. Man dachte bis an die Schwelle des neuen Jahrhunderts, die Bürgerlichkeit führe hinein in eine neue geistige Geborgenheit. Das war mit einem Mal wie weggeblasen. Eine ganze Gesellschaftsutopie krachte zusammen, die Menschen blieben deformiert zurück. Trotzdem haben wir es jetzt mit einem Theaterabend zu tun, nicht mit einem historischen Vortrag. Dazu kommt das Staunen, wie gut diese Szenen von Kraus geschrieben sind.

STANDARD: Man sammelt Wissen, um es ad acta legen zu können?

Schmiedleitner: Karl Kraus ist nicht nur ein großer Denker und Visionär gewesen, sondern ein grandioser Theatermacher. Es wechseln sich gehobene Boulevardszenen mit schärfstem Dokumentartheater ab. Kraus hat nicht nur die Phrase als Waffe durchschaut, er ist auch noch ein ungemein moderner Theatermann. So wie man Wagner als modernen Komponisten bezeichnen kann, der das Tor zum 20. Jahrhundert aufstieß, muss man Kraus als Urheber neuer Theaterformen ansehen.

STANDARD: Wie sieht Ihr Grundgerüst jetzt aus?

Schmiedleitner: Wir haben 55 Szenen. Ich beschäftige mich täglich mit neuen Formen. Die müssen in einen Rahmen eingepasst werden. Das fordert uns alle, das Ensemble und mich, und hält uns wach. Machen wir heute eine Konversationsprobe? Forcieren wir eine Aktion? Hauen wir auf die Kacke?

STANDARD: Gibt es beliebte Szenen aus dem Best-of-Programm à la Helmut Qualtinger?

Schmiedleitner: Szenen wie diejenigen mit der Frontberichterstatterin Schalek oder mit dem Viktualienhändler Vinzenz Chramosta sind drin. Aber wir bemühen uns, die Sache aus dem Kabarettistischen herauszuhalten. Natürlich muss man das Stück manchmal in die Groteske ziehen, aber dahinter muss das Apokalyptische aufblitzen. Das Dodelhafte, Karikaturhafte ist rasch zur Hand. Aber es gibt niemanden, der das bei uns will. Bizarr soll es sein. Wenn Conrad von Hötzendorf auf einer riesigen Landkarte Italien zertritt, während er Walzer tanzt, dann ist das ein bizarres Bild für mich, kein kabarettistisches.

STANDARD: Haben Sie sich mit Burg-Direktorin Karin Bergmann auf eine weitere Zusammenarbeit verständigt?

Schmiedleitner: Es gibt Signale dafür. Ich bin mit Lust in diese neue Aufgabe hineingekippt. Ich bin gut aufgenommen worden und kann mich richtig entfalten. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 12./13.7.2014)