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Eheliche Gespräche über Gott und die Heiratswelt: Dagmar Schellenberger (als Golde) und Gerhard Ernst (als Tevje).

Foto: APA/HANS PUNZ

Mörbisch - Milchmann Tevje könnte überall philosophierend glänzen. Seine Verhandlungen mit Gott würden als Berggipfellesung ihr Fluidum entfalten wie auch als Unterwasserkammerspiel. Seine abwägenden Selbstgespräche unter göttlicher Aufsicht funktionierten als Puppenspiel wie auch als Charakterstudie auf opulenter Seebühne. Wie nun bei den Festspielen in Mörbisch, wo die gütigen Wolken die Premiere nur mit ein paar Tropfen kitzelten.

In mancher Dialogszene wäre natürlich einer filmischen Vergrößerung der Ereignisse der Vorzug vor dieser über der Bühne schwebenden Brücke gegeben worden (Bühnenbild Walter Vogelweider): Mit dem über selbige kurz tuckernden Liliput-Zug (Szenenapplaus!) wird verdeutlicht, dass dem ukrainischen Schtetl Anatevka und Tevje eine der fünf Töchter abhandengekommen ist. Letztlich nicht nötig. Schließlich zeigte die Inszenierung von Karl Absenger auch, dass - wenn schon optische Riesenreize zu setzen sind - Tevjes Problemlösungsfantasie ausreichend Stoff für Glanzeffekte bereithält, die theatralisch substanzvoll wirken können.

Zwei Herren heiraten

Es hat etwa Tevje seine Tochter Zeitel (Bele Kumberger) Metzger Lazar Wolf (Stephan Paryla-Raky) versprochen. Gleichzeitig gebot ihm jedoch die Güte seines Herzens, Zeitel die Erlaubnis zu erteilen, Schneider Mottel (Erwin Belakowitsch) zu ehelichen, mit dem sie sich heimlich verlobt hat. Da eine Dame auch in Anatevka jedoch nicht zwei Herren ehelichen kann, hat Tevje ein Problem.

Er muss seiner Frau Golde (auch gesanglich glänzend Intendantin Dagmar Schellenberger) nahebringen, dass es eine Liebes- und keine Geldheirat geben soll. Tevje tut es, indem er Golde einen Albtraum erzählt, worauf auf die Bühne ein Riesenbett geschoben wird, auf dem der Milchmann Golde Mahnungen aus dem Jenseits schildert. Sie kamen von Goldes Oma, sie kamen von der verblichenen Metzgersfrau. Und zu Tevjes Traumerzählung erwacht um das Bett herum ein Karneval der Verstorbenen, ein Tanzgrusical, das Mottel als Gatten einmahnt.

Es war nicht die einzige Szene, die das Funktionieren eines Kammermusicals auf großer Bühne aufzeigte. Auch jener Wirtshausmoment, da sich russische und jüdische Bürger entlang eines Konfliktes bewegen und sich alles in vertanztem Wohlgefallen (Choreografie: Vladimír Snízek) auflöst, versöhnten die Werkansprüche mit jenen dieser X-Large-Bühne. Das Rückgrat der Produktion bleibt allerdings der von gewitztem Gleichmut durch fast alle Traditionsbrüche, Verluste und die finale Vertreibung aus Anatevka getragene Tevje mit seinen Grübeleien. Gerhard Ernst formt ihn zu einem Hadernden und Zerrissenen mit humanem Antlitz; er erzählt eine Geschichte vom Ertragen und von der Selbstbehauptung in historischen Pogromverhältnissen eindringlich.

Eine gute Ensembleleistung wie auch das unterstützende Orchester unter David Levi runden eine respektable Produktion ab, deren Erzählfluss aber leider an vielen Umbaumomenten litt und auch deshalb Längen aufwies. So überzeugen Details mehr als das große Ganze. Auch Ex-Intendant Harald Serafin war übrigens wieder da und also Zeuge. (Ljubiša Tošić, DER STANDARD, 12.7.2014)