Warnt die ÖVP davor, Schmerzgrenzen zu überschreiten: Gewerkschaftsboss Wolfgang Katzian.

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STANDARD: Das Parlament ist eben in die Ferien gegangen. Fragt sich, ob diese verdient sind: Hat der Nationalrat in der ersten Halbzeit irgendetwas zustande gebracht, was das Herz eines Gewerkschaftsbosses höherschlagen lässt?

Katzian: Mit der Antwort tue ich mir leicht, weil wir diese Woche nach drei Jahren schwieriger Verhandlungen das Energieeffizienzgesetz beschlossen haben. Darauf bin ich nicht nur als Energiesprecher der SPÖ stolz. Mich freut, dass es viele Jahre nach dem Streit um das Kraftwerk Hainburg ein Gewerkschafter ist, der mit ÖVP und Grünen diesen großen Schritt zur Energiewende einleitet.

STANDARD: Die Massen am Ersten Mai wird das nicht elektrisieren. Bei Arbeitnehmeranliegen wie einer leichter zu erreichenden sechsten Urlaubswoche und der Beschränkung von All-in-Verträgen herrscht Fehlanzeige.

Katzian: Leider ja. All das steht im Regierungsprogramm, ist aber vertagt. Ändert sich daran nichts, stehen diese Anliegen im Herbst bei allen Kollektivvertragsverhandlungen auf der Agenda - es kann nicht sein, dass Menschen durch All-in-Verträge zunehmend um arbeitsrechtliche Ansprüche geprellt werden. Aber auch auf gesetzlicher Ebene muss etwas weitergehen. Jeder Gewerkschafter lernt in der ersten Grundschulung, dass halten muss, was ausgemacht ist. Bei der ÖVP vermisse ich diese Pakttreue - nicht nur beim Arbeitsrechtspaket.

STANDARD: Wo sonst noch?

Katzian: Beim Thema Pensionen. Wir haben ein Bonus-Malus-System für Unternehmen vereinbart - es wird wegen Widerstandes in der ÖVP nicht umgesetzt. Das reicht in die Sozialpartnerschaft hinein, die ihre Tugend zu verlieren droht, trotz aller Konflikte am Ende ein Ergebnis zu finden. Auf VP-Seite sind offenbar einige auf dem neoliberalen Trip, doch auch für uns gibt es Schmerzgrenzen. Wenn gar nichts mehr geht, muss man sich überlegen, ob die Koalition noch Sinn macht. Das gilt gerade auch für die Steuerreform. Die Gewerkschaft wird deshalb mit ihrer Kampagne für die Senkung der Lohnsteuer gehörig Druck auf die Regierung machen, besonders auf Finanzminister Michael Spindelegger ...

STANDARD: ... der Vermögenssteuern ablehnt und eine Steuersenkung ausschließlich durch Einsparungen finanzieren will.

Katzian: Bleibt Spindelegger bei seiner Haltung, muss es krachen. Wir lassen uns auch nicht papierln: Es kann nicht sein, dass die ÖVP nun wieder Forderungen stellt, die wir bei den Koalitionsverhandlungen verhindert haben - etwa weitere Einschnitte bei den Pensionen, obwohl wir da bereits einen ambitionierten Pfad vereinbart haben, der eingehalten wird.

STANDARD: Von Vermögenssteuern ist im Koalitionspakt aber genauso wenig die Rede.

Katzian: Von Gegenfinanzierung steht dort sehr wohl etwas, und die ist auch dringend notwendig, wenn wir die wichtigen Aufgaben des Staates weiter finanzieren wollen. Mit neoliberalem Geschwätz à la "Steuern runter" hat unsere Kampagne nichts zu tun.

STANDARD: Die Steuerquote ist zuletzt stark gestiegen. Ist der Bogen nicht irgendwann überspannt?

Katzian: Die Steuerquote sagt genau gar nichts über das wirtschaftliche Wohlergehen aus. Die niedrigsten Steuerquoten haben Rumänien und die baltischen Länder, die mir niemand als Vorbilder einreden kann. Entscheidend ist, wer wie viel zahlt. In Österreich liefern die Arbeitnehmer immer mehr Lohnsteuer ab, sodass ihr Aufkommen jenes der Umsatzsteuer überholt, was auf ein massives Kaufkraftproblem hinweist. Die Vermögenden hingegen bleiben weitgehend verschont. Wenn in einer Gesellschaft eine Minderheit die Nutznießerin ist, während die Mehrheit zahlt, bricht sie auseinander. Das kritisieren auch Institutionen wie die OECD und der Internationale Währungsfonds, doch der Finanzminister wischt dies vom Tisch, als wären das alles linke Zecken.

STANDARD: Georg Kapsch, der Präsident der Industriellenvereinigung, hält sein persönliches Beispiel entgegen: Das Gros seines Vermögens stecke im Unternehmen. Um dafür Steuern zahlen zu können, müsste er künftig auf Kosten der Investitionen Dividenden ausschütten. Könnte so eine Steuer nicht Arbeitsplätze killen?

Katzian: Ich kann die Situation des Herrn Kapsch ohne Überprüfung nicht beurteilen, Ihnen aber viele Firmen aufzählen, die bereits jetzt sehr üppige Dividenden ausschütten - und die fließen nicht in die Taschen der Mitarbeiter.

STANDARD: Zuletzt kam die SPÖ ihrem Wunschziel kein bisschen näher: Die Grunderwerbsteuer wurde reformiert, ohne Immobilienvermögen höher zu belasten.

Katzian: Immerhin haben wir im Nationalrat noch nachgebessert, sodass der Kreis der Begünstigten gegenüber dem Erstentwurf kleiner wurde. Freude bereitet hat mir die Reform trotzdem nicht.

STANDARD: Sie hätten ja Nein sagen können. Warum nicken Abgeordnete etwas ab, das sie eigentlich ablehnen? Beim Fiskalpakt war es in der SPÖ genauso.

Katzian: Was von Regierungsseite auf Schiene ist, lässt sich verändern, aber schwer völlig umkrempeln. Gerade was Vereinbarungen auf EU-Ebene betrifft, werden wir das eine oder andere Mal vor vollendete Tatsachen gestellt. Wenn ich gegen einen Beschluss wie den Fiskalpakt, bei dem im Übrigen zusätzliche Investitionen für Arbeit und Beschäftigung durchgesetzt wurden, aufstehe, hole ich mir viel Applaus, doch der Preis wäre womöglich, dass es die Regierung zerreißt. Für solche Spielchen stehe ich nicht zur Verfügung. Eine Regierung braucht nun einmal verlässliche Mehrheiten.

STANDARD: Um wie viele Milliarden soll die Lohnsteuer sinken?

Katzian: Jedenfalls um mehr als die drei Milliarden der letzten Entlastung, die rasch von der kalten Progression aufgefressen waren. Für eine Mickey-Mouse-Steuerreform sind wir nicht zu haben.

STANDARD: Was ist mit jenen, die so wenig verdienen, dass sie keine Lohnsteuern zahlen, aber unter den Sozialbeiträgen stöhnen?

Katzian: Auch die sollen etwas von der Steuerreform haben, indem etwa die Negativsteuern ausgebaut werden - aber das ist Teil der Debatte in der Arbeitsgruppe.

STANDARD: Auch als Präsident von Austria Wien haben Sie das Großkapital - Red Bull Salzburg - zum Gegner. Ist Fußball nicht ein Abbild des realen Lebens: À la longue gewinnen die G'stopften?

Katzian: Das, was ich früher bestritten habe, muss ich heute einräumen: Geld schießt am Ende des Tages doch Tore - leider. Aber bis zu einem gewissen Grad lässt sich das mit Herz, Leidenschaft und Engagement wettmachen: Letztes Jahr ließ die Austria als Meister das ganze Geld hinter sich.

STANDARD: Wer wird Weltmeister?

Katzian: Der Bauch ist für Argentinien, doch das Hirn sagt: Deutschland wird gewinnen. (Gerald John, DER STANDARD, 12.7.2014)