Nicht im herkömmlichen Blau, sondern etwas dezenter präsentiert sich der City-Ikea in der Hamburger Fußgängerzone.

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"Ja, du musst schon ziehen." Biancas Stimme klingt ein klein wenig genervt. "Mach ich doch", gibt Thomas nicht minder gereizt zurück. Doch dann haben sie es geschafft: Der Schreibtisch, verpackt in einen braunen Karton, ist auf die gelbe Rodel, die in Deutschland Sackkarre heißt, gehievt worden, und augenblicklich entspannt sich die Stimmung.

Die beiden Studenten sind heute zum ersten Mal in die neueste Ikea-Filiale Deutschlands gekommen. Zu Fuß, einfach nur ums Eck, sie wohnen drei Straßen weiter. "Zu Fuß zu Ikea, das gibt es sonst nirgendwo", sagt Bianca und grinst. Jetzt wollen sie ihren neu erworbenen Schreibtisch nach Hause schieben.

Derlei Transporte sieht man auf der Großen Bergstraße im Stadtteil Altona jetzt öfter. "Neulich war einer da, hat ein Sofa gekauft und alle drei Teile hintereinander zu sich geschafft", sagt Christian Mollerus. Er ist Einrichtungshauschef bei Ikea und leitet die jüngste Niederlassung in Deutschland. Erst vor zehn Tagen ist das Haus eröffnet worden. Es ist das 47. in Deutschland, mit ihm beschreiten die Schweden neue Wege.

Mitten in der Innenstadt

Billy- und Ivar-Regale sowie die Fleischbällchen Köttbullar gibt es jetzt nicht mehr wie bisher irgendwo draußen am Stadtrand, sondern zum ersten Mal mitten in der Innenstadt.

"Früher kamen die Kunden zu uns raus, jetzt kommen wir zu ihnen rein", sagte Mollerus. Was klingt wie ein schöner Marketingspruch, trifft es tatsächlich. In der Großen Bergstraße steht das Haus in der Fußgängerzone, zwischen einem Biomarkt und einer Apotheke, gegenüber befindet sich ein Eisladen und ein Telefonanbieter.

Eine ausgeklügelte Strategie steckte anfangs gar nicht hinter dieser Entscheidung. Zehn Jahre lang suchte Ikea in Hamburg nach einem Platz für ein drittes Haus. Nichts passte. Dann bot der Bezirk Altona dem Unternehmen ein Grundstück in bester Innenstadtlage an. Oder besser gesagt: in ehemals bester Innenstadtlage.

Denn die Große Bergstraße, eine der ältesten Fußgängerzonen Deutschlands, war seit der Jahrtausendwende zur Resterampe verkommen. Ein-Euro-Laden reihte sich an Ein-Euro-Laden, gute Geschäfte zogen weg.

Ikea sagte zur Freude von Politik und den verbliebenen Einzelhändlern zu, das zog wieder attraktivere Läden an.

Zur Eröffnung kam auch Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und witzelte: "Dass das Gebäude so schnell fertig geworden ist, liegt vielleicht daran, dass es nicht von Ikea selbst zusammengeschraubt wurde."

Ein Ikea in der City, das wird nicht funktionieren, sagten selbst bei Ikea zunächst viele. Doch die Befürworter zählten die Vorteile auf: Immer mehr Menschen haben gar kein Auto mehr, wollen aber dennoch bei Ikea einkaufen.

Keine Zeit verschwenden

Bettina zählt zu ihnen. Sie schaufelt gerade die bei Ikea-Einkäufen offenbar unvermeidlichen Teelichter in ihren blauen Einkaufssack. "Zehn Minuten bin ich mit der S-Bahn hergefahren", sagt die IT-Spezialistin und findet das super: "Für Kleinigkeiten fährt man doch nicht extra so weit raus, aber hier in der Innenstadt schlage ich zu, kann alles bequem nach Hause tragen, und ich verschwende keinen halben Tag, um alles zu erledigen."

Natürlich hat man bei Ikea Analysen und Berechnungen angestellt, wie viele Kundinnen und Kunden denn mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen werden. 60 Prozent sollten es schon sein, ansonsten hätte ein Verkehrschaos gedroht. Doch es ist anders gekommen: 93 Prozent nähern sich zu Fuß, mit den Öffis oder mit dem Fahrrad, nur sieben Prozent mit dem Auto.

Die wenigen, die den Pkw nutzen, parken auf dem Dach, es gibt auch nur 730 Parkplätze statt der sonst bei Ikea üblichen 2000. Auch sonst weicht das Haus deutlich vom bisherigen Konzept ab. Es gibt - Weltneuheit - auf der Ebene der Fußgängerzone sogar Schaufenster, schließlich buhlt man jetzt auch um Laufkundschaft.

Allerdings sind Sessel, Lampen und Polster etwas lieblos ausgestellt. Entweder will man damit Understatement zeigen, oder das Dekorieren von Schaufenstern ist noch so neu, dass es die Mitarbeiter erst lernen müssen.

Gerüchte über Möbel

In der Filiale selbst findet man alles, was es auch in Häusern auf der grünen Wiese gibt. Bäder, Wohnzimmer, Küchen. Aber vielen waren und sind sich da nicht ganz so sicher. "Schon vor der Eröffnung hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass wir hier in der Stadt gar keine Möbel verkaufen werden, sondern nur kleine Dinge", sagt Filialleiter Mollerus.

Möglicherweise glauben das auch jene Kunden, die ihre Einkaufswagen an diesem Freitag zur Kasse schieben. Man sieht Besteck, Topfpflanzen, Servietten, WC-Bürsten, Bettwäsche. Aber kaum jemand hat größere Sachen im Wagen. Zwar freut sich Mollerus im Moment über 10.000 Kunden pro Tag (in anderen Häusern sind es im Schnitt 2000), doch die Zurückhaltung bei den Möbeln hat auch er schon bemerkt.

"Das müssen wir noch deutlich machen, dass es natürlich hier in der Stadt auch Schränke und Betten gibt", sagt er. An mangelnden Transportmöglichkeiten kann es nicht liegen. Der City-Ikea bietet seinen autolosen Kunden nicht nur herkömmliche Transporter (Lkws, Pkws), sondern sogar Lastenfahrräder und E-Bikes.

Für Ikea jedenfalls ist das Haus in der Fußgängerzone von Hamburg ein Experiment mit offenem Ausgang. "Wenn das Konzept aufgeht, dann könnten eines Tages noch mehr Ikea-Filialen in Innenstädten entstehen", sagt Mollerus.

Doch es gibt auch Hamburger, die das nicht wollen und die der schleppende Möbelverkauf freut, nämlich die Aktivisten vom "Arbeitskreis lokale Ökonomie". Sie treten dafür ein, noch intakte Möbel weiterzugeben, anstatt sie wegzuwerfen und neue zu kaufen. (Birgit Baumann aus Hamburg, DER STANDARD, 12.7.2014)