Die Atomverhandlungen in Wien zwischen Iran und den von der EU geführten Weltmächten (E3+3) gehen laut Zeitplan dem Ende zu. Zwar ist es unwahrscheinlich, dass am 20. Juli tatsächlich ein unterschriftsreifes Dokument vorliegen wird, doch haben sich die beiden Verhandlungsteams - die EU unter dem Doppelgespann Catherine Ashton und Helga Schmidt und Iran unter Javad Zarif und Abbas Araqchi - von den großen Widerständen jener Kreise, die eine Verhandlungslösung hintertreiben wollen, nicht irremachen lassen.

Und diese Widerstände sind beträchtlich. Im Iran sind es vor allem die Revolutionsromantiker der sogenannten Hezbollahis mit ihrem wichtigsten Medium, dem islamistischen Revolverblatt Keyhan, und die ihm angeschlossenen Medien. Für diese Gruppen geht es in erster Linie darum, jegliche Art substanzieller Entspannung im Inland zu verhindern, die nach einem Nuklearabkommen und der daraus folgenden politischen Stärkung der Regierung Präsident Hassan Rohanis zu erwarten ist. Im März begannen radikale Gruppen auf sich aufmerksam zu machen und schossen sich auf Außenminister Zarif ein, dem Schwäche bei den Nuklearverhandlungen vorgeworfen wurde.

Der Revolutionsführer lavierte zwischen radikalem Diskurs in der Öffentlichkeit und gemäßigter Außenpolitik. So wurde die Polizei angewiesen, wieder einmal die Daumenschrauben der islamischen Moral anzusetzen, indem Satellitenschüsseln eingesammelt wurden und das Fastengebot im Ramadan kontrolliert wurde. Dennoch ließ er sich von der öffentlichen Unterstützung für Rohani nicht abbringen und sprach Anfang dieser Woche der Regierung Rohani in al-ler Öffentlichkeit sein Vertrauen aus.

Vor anderen Problemen steht die europäische Verhandlungsführung, die namens der Weltgemeinschaft das iranische Nukleardossier behandelt. Der Widerstand in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten spielt dabei eine geringe Rolle, denn die überwiegende Mehrheit der Europäer wünscht ein Gelingen der Verhandlungen und kann sich bei Erfolg eine Normalisierung der Beziehungen zur Islamischen Republik Iran vorstellen.

Obama-Bashing

Größere Probleme bereitet den Verhandlungsführern die Situation in den USA, wo wichtige Kräfte im Kongress die Verhandlungen hintertreiben wollen, teils aus Gründen des rechtsextremen Obama-Bashings, teils aus missverstandener Solidarität mit Israel.

Doch das verschlechtert in erster Linie die Verhandlungsposition der USA. Schließlich sind es die USA, denen es schwerfällt, nach der Lockerung einiger technischer Sanktionen im April dieses Jahres - konkret handelte es sich um Ersatzteile für Irans veraltete Luftflotte - weitere Anreize zu schaffen und das diplomatische Instrument der Sanktionen in seiner vollen Breite auszunutzen. Und schließlich ist ab Herbst eine weitere Einschränkung des Handlungsspielraums zu erwarten, da Iran in den US-Zwischenwahlen thematisiert wird.

Außenpolitische Kohäsion

Damit bleiben die Europäer Spielmacher im Nuklearpoker. Überraschend für viele gelang es ihnen mittels E3-EU-Format (Deutschland, Frankreich, Großbritannien - Ashton) die außen- und sicherheitspolitische Kohäsion und Handlungsfähigkeit der EU sicherzustellen und darüber hinaus dafür Sorge zu tragen, dass Russland, China und USA sich auf ein gemeinsames konstruktives Vorgehen einigen konnten, wozu der Uno-Sicherheitsrat mit seinen veralteten Strukturen nicht in der Lage war. Darüber hinaus ist es den Europäern zu verdanken, dass weder ein weiterer Krieg geführt wurde noch eine weitere unkontrollierte Atommacht die Weltbühne betrat.

Für sich genommen, sind das nicht die schlechtesten Ergebnisse, wenn auch noch kein Durchbruch. Die Chancen dafür scheinen diesmal gar nicht so schlecht zu stehen, weil die Verhandlungen nun von der EU-dominierten technisch-politischen Ebene eine Stufe höher auf die machtpolitische Ebene gehoben wurden, wie man an der Anreise der Außenminister der USA und der anderen Führungsmächte deutlich wird.

Unabhängig vom Ausgang ist festzuhalten, dass das iranische Nuklearprogramm nur eines von insgesamt vier wichtigen bilateralen Problemen zwischen Iran und Europa ist. Darüber hinaus sind die Menschenrechtspolitik, die Energiepolitik und regionale Sicherheit die wichtigsten Themen der EU-iranischen Beziehungen.

Hier steht zu befürchten, dass in der Menschenrechtspolitik am wenigsten Fortschritte erzielt werden. Der Hauptgrund dafür liegt im Iran, wo Sicherheitskräfte und Justiz nur halbherzig Reformen im Bereich Folterprävention und Reduktion von Hinrichtungen einleiteten. Wenig hilfreich waren aber auch die westliche Politisierung der Debatte über Menschenrechte im Iran und ihr Einsatz als Druckmittel auf das Regime. Dadurch kamen die Aktivitäten iranischer Menschenrechtsaktivisten unter Generalverdacht, Teil der westlichen Subversion zu sein. Im Vergleich dazu war der weitgehend zahnlose EU-iranische Menschenrechtsdialog erfolgreicher.

Wichtig wäre auch, dass die EU sich endlich eine Energiestrategie zulegt, die diesen Namen verdient. Natürlich ist es unmöglich, während der Verhandlungen den Iranern das Gefühl zu geben, sie besäßen mit ihren Energieressourcen ein strategisches Druckmittel. Die Energiesanktionen waren eben gerade deshalb sinnvoll, weil sie bewiesen, wie ernst es den Europäern mit den Verhandlungen war und ist. Gleichzeitig wäre es verantwortungslos, wie es manche Aktivisten tun, in den energiepolitischen Beziehungen zu Teheran nur die Gewinne einiger Firmen zu sehen. Energiestrategie hat nichts mit Gewinnstreben, sondern mit Energiesicherheit und Diversifizierung der Anbieter zu tun. Und hier ist Iran zu wichtig, um ignoriert zu werden.

Besorgter Nationalstaat

Genauso wenig kann Iran als Regionalmacht ignoriert werden. Hier zeichnen sich immer mehr die Konturen einer Normalisierung der iranischen Außen- und Sicherheitspolitik ab. Standen vor zwei Jahren in Teheran noch Gedanken einer Machtprojektion im Vordergrund, die mit dem Kampf gegen Israel ideologisch begründet wurden, so liegt heute das Gesetz des Handelns in der Region bei Gruppen wie der Isis. Die Reaktion Teherans auf diese Gefahr ist nicht mehr jene einer dynamischen revolutionären Bewegung, deren Erfolg auf dem Enthusiasmus seiner radikalen Jugend beruht, sondern die eines besorgten Nationalstaates.

Hier ähneln sich die Bilder, denn sowohl Europäer als auch Iraner fürchten die Kontaktaufnahme von Isis-Extremisten mit den sunnitischen Minderheiten in ihren eigenen Ländern. Eine, wenigstens punktuelle Zusammenarbeit in diesem Bereich mit Iran scheint daher vernünftig, bleibt jedoch ohne Lösung der Nuklearverhandlungen unwahrscheinlich. (Walter Posch, DER STANDARD, 14.7.2014)