Die Neutralität - der Preis für die staatliche Souveränität nach dem Zweiten Weltkrieg - hat Österreich zur Begegnungsstätte zwischen Ost und West gemacht. Und zum Tummelplatz für die Geheimdienste. Nach dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs vor 25 Jahren drohte dieser paradoxe Mythos von Kontakt- und gleichzeitiger Kampfzone zweier verfeindeter Welten zu verblassen - auch wenn Der dritte Mann noch immer erfolgreich in einem Wiener Kino läuft.

Inzwischen zeigt der schon totgesagte Kalte Krieg wieder kräftige Lebenszeichen. Und da erinnert sich Österreich gerne seiner "Brückenfunktion" und lädt den russischen Präsidenten ein, obwohl der wegen seines Ukraine-Kurses vom Westen eigentlich geschnitten werden sollte.

Das trägt der Regierung in Wien zwar die kaum verhüllte Missbilligung der Amerikaner ein. Aber wenn es stimmt, dass deutsche Geheimdienstmitarbeiter, die für die CIA spionieren, in Österreich angeworben und von der US-Botschaft in Wien aus gesteuert wurden, dann schätzt man den "neutralen" österreichischen Begegnungsraum auch in Washington - noch immer oder schon wieder.

Was die US-Rüge wegen des roten Teppichs für Putin betrifft, sind wir also quitt, könnte man süffisant sagen. Man könnte auch von Heuchelei reden. Das gilt freilich ebenso für Österreich, das die wirtschaftlichen Hintergedanken beim Putin-Besuch nonchalant ausblendete.

Mit den Iran-Gesprächen verhält es sich etwas komplizierter. Dass sie in Wien stattfinden, geht auf eine gezielte Initiative von Außenminister Sebastian Kurz zurück. Die baute wiederum darauf auf, dass die Internationale Atombehörde (IAEA) hier ansässig ist. Doch darf man annehmen, dass die Tradition Wiens als Ort heikler internationaler Begegnungen auch hier eine Rolle spielte.

Diese Tradition ist jedenfalls älter als die Neutralität. Vor 200 Jahren begann der Wiener Kongress. Dort wurde, unter der Regie des österreichischen Staatskanzlers Metternich, Europa nach der Niederlage Napoleons neu geordnet. In dieser Neuordnung aber waren, nach Ansicht vieler Historiker, die Konflikte angelegt, die zum Ersten Weltkrieg führten, der vor 100 Jahren begann und dessen Folgen bis heute nachwirken - im amerikanisch-russischen Antagonismus wie in den Krisenzonen im Nahen und Mittleren Osten. Wer immer Wien zu einer neuen geopolitischen Drehscheibe hochstilisieren möchte, sollte auch daran denken. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 14.7.2014)