Das "bedeutendste Turnier für Nationalmannschaften", wie sich die Fußball-WM definiert, hat sich tatsächlich als bedeutsam erwiesen. Wenn auch anders, als vor der 20. Endrunde zu befürchten gewesen war. Von den sozialen Spannungen samt Aufruhr und Gewalttätigkeiten, die Brasilien monatelang in Atem gehalten hatten, war mit und seit WM-Anpfiff kaum noch etwas zu spüren. Es ist fast ausschließlich um Fußball gegangen - und das war, mit Verlaub, oft schlimm genug.

Immerhin gipfelte die WM im würdigen Finale mit dem nicht unverdienten Weltmeister Deutschland. Freilich war dieses Endspiel nicht nur der deutschen und argentinischen Qualität geschuldet, sondern auch dem glücklichen Zufall, dass diesen beiden Teams kein Schiedsrichter entscheidend zugesetzt hatte. Mit den oft desaströsen Leistungen der Referees, der Flut an Fehlentscheidungen, die sich durchs Turnier gezogen haben, sollte sich der Weltverband (Fifa) schleunigst auseinandersetzen.

Frage 1: Wieso wird die äußerst selten benötigte Torlinientechnik eingeführt, der überaus oft benötigte Videobeweis aber verhindert? Frage 2: Wieso werden Schiedsrichter aus Ländern und Ligen eingesetzt, in denen offensichtlich ein anderes Tempo und Niveau vorherrscht? Frage 3: Wozu braucht man hinter den Toren zusätzliche Schiedsrichter, wenn diese sich nicht rühren? Frage 4: Wie ist es um Schulungen für Schiedsrichter bestellt, wenn diese nicht in der Lage sind, sich an bestehendes Regelwerk zu halten? Frage 5: Wem ist dieser absurde Spray eingefallen?

Nur zur Erinnerung: Auch am Anfang der brasilianischen Verzweiflung war ein Schiedsrichter gestanden. Die Verletzung von Superstar Neymar untermauert den Vorwurf, dass die Referees zu wenig auf den Schutz herausragender Spieler achteten. Natürlich hätte auch Neymar das Scheitern gegen Deutschland nicht verhindert, vielleicht wäre es weniger historisch ausgefallen, vielleicht auch nicht. So gemahnte Brasiliens kollektive Trauer an ein geflügeltes Wort des großen Liverpool-Trainers Bill Shankly. "Einige Leute halten Fußball für eine Frage von Leben und Tod. Ich bin von dieser Einstellung sehr enttäuscht. Ich versichere Ihnen, es ist viel ernster."

Immerhin dürfte das gestrige Finale auf absehbare Zeit das letzte WM-Spiel in einem demokratischen Land gewesen sein. Viel wurde und wird über Katar geredet, das nepalesische Arbeiter ausbeutet, um die Endrunde 2022 zu veranstalten. Die nächste WM, jene 2018 in Russland, ist hingegen kaum ein Thema. Russland und Katar haben aus Fifa-Sicht den Vorteil, dass soziale Unruhen nicht einmal zu erwarten sind. Diese Turniere werden für die Fifa Kinderspiele.

Wladimir Putin hat Fußballfans während der WM-Zeit bereits Visa-Freiheit zugesagt. Hurra! Der sogenannte Westen wird wieder davon reden, wie viel ein sportliches Großereignis einem, sagen wir, weniger westlichen Land bringen kann. Die Winterspiele in Sotschi, die kaum beendet waren, als sich Russland die Krim einverleibte, liegen dann auch schon ein Zeiterl zurück. Fifa-Präsident Sepp Blatter wird die für illegale Ticketverkäufe in Brasilien Verantwortlichen längst bestraft und wird die Bildung einer Kommission zur Einführung des Videobeweises garantiert schon in Aussicht gestellt haben.

Frage 6: Wird sich Putin sein "aber gute Diktatur" verkneifen können? (Fritz Neumann, DER STANDARD, 14.7.2014)