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Nadine Gordimer, Literaturnobelpreisträgerin, lebenslange Kämpferin gegen Gleichgültigkeit, Armut, Unterdrückung. 

Foto: AP/GUILLERMO ARIAS

Johannesburg - Man müsse, sagte Nadine Gordimer einmal, immer in Opposition zur Gesellschaft stehen - auch zu der, für die man selber gekämpft habe. Ihr lebenslanger, mit aller literarischer Eloquenz geführte Kampf richtete sich gegen Rassismus, gegen Korruption, Misswirtschaft, Ungerechtigkeit und Zensur.

Knapp zwanzig Jahre, nachdem sich ihr Traum vom Ende der Apartheid in ihrer Heimat Südafrika erfüllt hatte, rechnete die damals 89-jährige Schriftstellerin in ihrem letzten (und fünfzehnten) Roman Keine Zeit wie diese (Berlin Verlag) mit der Entwicklung des African National Congress (ANC), mit den vergebenen Chancen der neuen Herrscher ab. Sie tat es voll jugendfrischer Wut, kraftvoll, nüchtern, radikal, unbestechlich. Aus Revolutionären, die wegen der Rassengesetze heimlich heiraten mussten, werden Bürger, stellt sie anhand der Geschichte von Steve - weiß - und seiner Frau Jabulile - schwarz - illusionslos fest. Beethoven war ein Sechzehntel schwarz, war der provokante Titel einer Kurzgeschichte, in der sie die wendehälsische (weiße) Mittelschicht beschrieb, die - nach Ende der Rassentrennung - ja eigentlich immer schon auf Seiten der Schwarzen gewesen sein wollte.

Stimme Afrikas

In ihrem ersten, 1953 erschienen und stark autobiografisch geprägten Roman Entzauberung schilderte sie die (verlogene) Kindheit und Jugend einer weißen Südafrikanerin englischer Abstammung. Gordimer gehörte der weißen südafrikanischen Oberschicht an, der Vater war ein aus Litauen eingewanderter Juwelier, die Mutter Engländerin. Bereits mit vierzehn veröffentlichte sie ihre erste Kurzgeschichte, mehr als 200 sollten folgen.

Fast alle sind anlässlich ihres 90. Geburtstags in den ihrem 2001 verstorbenen Mann Reinhold Cassirer gewidmeten Erzählbänden Erlebte Zeiten und Bewegte Zeiten veröffentlicht, viele davon erstmals auf Deutsch. Damals wurde die Grande Dame der südafrikanischen Literatur auch nach neuen Romanideen befragt; und mit dem ihr eigenen, trockenen Humor antwortete sie: "Nun, meine wirklichen Autorentage sind vorüber. ich denke nicht, dass ich noch einen Roman schreiben werde. Wenn ich Bücher lese von Schriftstellern, die es nicht mehr drauf haben... - das will ich nicht. Ich bin nicht bereit, etwas Zweitklassiges zu schreiben." Das Erstklassige, das die Lieblingsschriftstellerin und enge Freundin Nelson Mandelas schrieb, wurde unter anderem 1974 mit dem Booker Prize und 1991 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet: "Für ihre epische Dichtung, die der Menschheit einen großen Nutzen erwiesen hat und durch die tiefen Einblicke in das historische Geschehen dazu beiträgt, dieses Geschehen zu formen", so die Begründung der Jury.

Immer wieder wurde Gordimer vom Apartheidregime, das sie vehement bekämpfte, seitdem die Rassentrennung 1948 gesetzlich verankert wurde, mit Publikationsverbot belegt. Doch "die gesellschaftliche Verpflichtung des Schriftstellers ist die Aufrichtigkeit", sagte sie. Literatur müsse als Ausdruck der Freiheit des Geistes "selbstverständlich auf der Seite der Unterdrückten" stehen.

Schon während ihres Studiums freundete sie sich lieber (verbotenerweise) mit schwarzen Studenten an - ihnen fühlte sie sich geistesverwandter als ihren weißen Kommilitoninnen; während der Hochverratsprozesse ließ sie Widerstandskämpfer bei sich wohnen: "Nicht meine Hautfarbe, sondern meine Überzeugungen und Gefühle lehren mich, was es bedeutet, Mensch zu sein. Mein Widerstand hat viel mit dem zu tun, warum ich schreibe", sagte sie. So verarbeitete sie in ihrem vielleicht aufwühlendsten Roman Burgers Tochter im Jahr 1979 die tragische Geschichte des Mandela-Anwaltes Bram Fischer.

Als Agnostikerin glaube sie an keine Religion und keinen Gott, sagte sie: "Ich glaube an zwischenmenschliche Beziehungen." Und weiter: "Man kommt auf die Welt, man ist ein Baby, dann wächst man zu einem Kind, erlebt die stürmische Jugend, reift zu einem Erwachsenen. Dann wird man älter, bis man endgültig alt ist. Und dann stirbt man. Das war's."

Am Sonntag starb Nadime Gordimer, die oft als "die Stimme Afrikas" bezeichnet wurde, 90-jährig in ihrem Haus in Johannesburg. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 15.7.2014)