Sich ja nicht zu viel Mühe beim Ankleiden machen: Der Wiener Fotograf Stefan Joham hat ein Auge für lässige Zeitgenossen. Seine Fotos publiziert er regelmäßig auf dem Modeblog "New Kiss on the Blog" (zusammen mit Jean-Claude Mpassy). Im Wiener Konzeptstore Sneakin in der Siebensterngasse 12 ist derzeit seine Ausstellung von Wiener Streetstyles zu sehen. Dieses Foto schoss er eigens für diesen Artikel.

Foto: Stefan Joham

Trekkingsandalen und Regenmäntel? Tragen neuerdings auch modische Zeitgenossen. Hier Sandalen von Opening Ceremony (unten) und Camper sowie Regenmäntel von Rains.

Foto: Hersteller

Letzten Sommer machte die New Yorker Journalistin Fiona Duncan eine irritierende Beobachtung. Sie konnte in ihrer ansonsten so hippen Nachbarschaft plötzlich nicht mehr unterscheiden, wer nun ein cooler Kunststudent war und wer ein durchschnittlicher amerikanischer Tourist. Der Look der beiden hatte sich einfach zu sehr angeglichen. Die Hipster trugen auf einmal Teva-Trekkingsandalen, Birkenstock oder Crocs, Patagonia-Funktionsjacken sowie billige Baseball-Kappen vom Souvenirstand.

Duncan brauchte einige Monate, um den Schock zu verarbeiten, dass es plötzlich cool war, wie US-Comedian Jerry Seinfeld auszusehen. Ihr diesen Februar im "New York Magazine" erschienener Artikel "Fashion for Those Who Realize They're One in 7 Billion" begründete den Normcore-Hype, jene Diskussion, die zu verstehen versucht, warum es plötzlich angesagt ist, wie "eine Mischung aus den eigenen Eltern und Pauschalurlaubern" auszusehen, wie es die "Süddeutsche Zeitung" jüngst auf den Punkt brachte.

Die Liebe zum Durchschnitt

Natürlich nervt dieses mediale Rauf-und- runter-Beten der These, dass sich junge Menschen plötzlich nicht mehr modisch abgrenzen, sondern in einer No-Logo-Gemeinschaft aufgehen wollen. Ganz aus dem Nichts kommt die neue Liebe zum Durchschnittlichen schließlich auch nicht. Mit dem Revival der 1990er-Jahre ist Grunge (deutsch: Schmuddel, Dreck), jener eng mit der Musik verbundene Antilook, der sich mit Holzfällerhemden und Secondhand-Klamotten von den schrillen 1980er-Jahr-Exzessen abgrenzen wollte, erneut hip geworden.

Weniger ist wieder mehr: Es zeichnet sich eine neue Sehnsucht nach einer reduzierten Ästhetik ab, nach Mode, die funktional und minimalistisch ist. Man hat sich an den seit Jahren wild wuchernden Hipster-Bärten sattgesehen. Man möchte es wieder glatter und cleaner. Mit dem aktuellen Männerbild des "Spornosexuellen" kehrt zudem der lange verpönte muskulöse Typ wieder. Gerade Outdoor-Kleidung passt perfekt in diese neue Sportwelle, die Funktion über Dekoration stellt.

Alles Sport

Vieles spricht dafür, dass sich die Outdoor-Mode gerade auf jenem Weg befindet, den die Jogginghose bereits erfolgreich beschritten hat. Lange geächtet, entwickelte sich Sportkleidung in den letzten Jahren zum Massenphänomen, dem sich auch die High Fashion nicht verschließen konnte. Sogar Chefsnob Karl Lagerfeld ließ seine Models jüngst mit Sneakers über den Laufsteg schlendern, und für seine Chanel-Show im März baute man sogar einen ziemlich realistischen Supermarkt als Kulisse nach. Wie es scheint, ist Massenappeal im Moment die neue Exklusivität. Die britische Stardesignerin Stella McCartney meinte, sogar eine Anwältin, mit der sie regelmäßig zusammenarbeite, habe Jogginghosen im Büro an. Warum auch nicht? Streetwear ist längst durch High Fashion geadelt, wer keine coolen Sneakers in seiner Kollektion hat, sieht gerade reichlich alt aus.

Funktionskleidung ist das nächste große Ding in der Modewelt. Das merkt man schon jetzt deutlich an den Füßen. Einigermaßen irritiert sprechen die Medien im englischsprachigen Raum vom "ugly shoe"-Trend: Zuerst wurden die Birkenstock-Gesundheitslatschen hip und jetzt auch noch allen Ernstes die Trekkingsandalen, die man am besten mit Socken trägt. Für viele steht die Welt gerade kopf: Was lang als der ultimative Modefauxpas galt, soll plötzlich schön sein? Vom geschmacklosen Touri-Trend ist die Rede, und der "Telegraph" staunt, dass Modemenschen auf einmal wie "Deutsche aus dem Rheinland aus den 1970er-Jahren" aussehen wollen. Die "Daily Mail" ätzte: "Sind das die hässlichsten Schuhe der Welt?" Und die "Teen Vogue" versuchte Tipps zu geben: "Wie man Socken und Sandalen trägt und trotzdem nicht wie ein Tourist aussieht".

Den Vogel abgeschossen hat die US-Hipster-Marke Opening Ceremony, die gerade eine Kooperation mit dem traditionellen Outdoor-Sandalen-Profi Teva auf den Markt gebracht hat. Sechs Unisex-Trekkingschuhe mit Namen wie "Gladiator Hurricane" und "Psycone" sind die neuen Verkaufsschlager. Aber auch Marc Jacobs, Prada, Lanvin und zahlreiche andere Labels schickten ihre Models mit Outdoor-Sandalen-Modellen auf den Laufsteg. Der deutsche Modequerdenker Bernhard Willhelm setzt in seiner Zusammenarbeit mit Camper schon seit Jahren auf Wanderschuhanklänge, die aktuellen Sommermodelle sind knallbunte Trekkingsandalen.

Outdoor-Mode

Aber auch bei den Jacken darf es ruhig sportlicher sein: Das dänische Label Rains, 2011 gegründet, definiert den klassischen Regenmantel dezent neu und landet damit einen urbanen Verkaufshit. Outdoor-Mode ist längst in allen Bereichen der Großstadt angekommen, Hipness ist dabei genauso wichtig wie alpine Qualitäten. Der japanische Trenddesigner Jun Takahashi et- wa entwarf mit seiner Nike-Kooperation "Gyakusou" Mode zum Joggen, die sich auch im Alltag sehen lassen kann. Für traditionelle Outdoor-Hersteller tun sich damit freilich ungeahnte Märkte auf, durch Kooperationen mit High-Fashion-Labels, die klassische Funktion mit Modedistinktion aufladen, lassen sich neue Publikumsschichten ansprechen und fette Gewinne einfahren.

Die neue Liebe zur Funktionalität trägt vor allem für Frauen einen emanzipatorischen Mehrwert in sich: Unbequeme High Heels stehen unbenutzt im Kleiderschrank, und das wird vermutlich noch länger so bleiben. Zumindest bei Schuhen gilt: Je orthopädischer der Schlapfen wirkt, je mehr er an einen Saunabesuch erinnert, desto angesagter ist er nämlich gerade - und desto besser passt er zum luftigen, aber auch zum eleganten Kleid. Die verkrüppelten Zehen so mancher Hollywoodstars freuen sich auf jeden Fall über die neue Bewegungsfreiheit. (Karin Cerny, Rondo, DER STANDARD, 18.7.2014)