Das Imperiale Kriegsmuseum in London wurde in den vergangenen 18 Monaten runderneuert.

Foto: Imperial War Museum

Aus Anlass der Gedenken zum Ersten Weltkrieg wurden im Zuge dessen auch die "First World War Galleries" modernisiert.

Foto: Imperial War Museum

Das Londoner Kriegsmuseum wirkte bisher ein bisschen, wie sein englischer Name - Imperial War Museum (IWM) - suggeriert: ehrwürdig, aber auch ein wenig verstaubt. Schon auf dem Vorplatz des einst als Irrenhaus genutzten Gebäudes können sich seine überwiegend männlichen Besucher an gewaltigen Geschützen erfreuen, drinnen warten Waffen aus beiden Weltkriegen, darunter auch eine deutsche V2-Rakete.

Freilich erlebt jetzt, wer ins bisher wahllos vollgestopfte Atrium tritt, eine angenehme Überraschung. Die aus öffentlichen und privaten Mitteln zusammengekratzten umgerechnet 50 Millionen Euro haben eine Generalüberholung des Hauses ermöglicht. Dazu zählt die glänzende Idee der Architekten Foster+Partners, aus der Mitte des Hauses ein ganzes Stockwerk herauszubrechen. So erstreckt sich das entrümpelte Atrium über vier Etagen, lässt den Blick frei bis zu einem angrenzenden Park. Das wirkt luftig und leicht; ein Kontrapunkt zum schweren, emotional befrachteten Thema des Museums.

Dass das Haus nun seine Türen wieder öffnet, hängt natürlich mit dem nahenden Gedenktag zusammen: Am 4. August jährt sich zum 100. Mal jener Tag, an dem das britische Empire in den europäischen Konflikt eintrat und ihn zum Weltkrieg machte. Bei einem Gedenkgottesdienst in Glasgow soll nun der Millionen Opfer auf allen Seiten gedacht werden. Für das IWM ergab sich die Gelegenheit, seine Schau zum Ersten Weltkrieg erheblich zu modernisieren.

Mehr als 80 Prozent der Briten sehen Umfragen zufolge den Jahrestag als Gelegenheit, gemeinsam der Toten zu gedenken und die Friedenssicherung zu stärken. Freilich befürchtete Margaret MacMillan, Autorin eines neuen Buches über die Ursachen des Krieges (The War that Ended Peace), das Gedenken werde sich "im nationalen Rahmen" abspielen. Das Imperiale Kriegsmuseum hat MacMillans Prophezeiung erfüllt.

In den erstaunlich eindimensionalen Mitteilungen zum Kriegsausbruch bleibt wenig Zweifel daran, wer am Gemetzel schuld war: das aggressive Deutschland nämlich. In den Worten der Ausstellung: "Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Frankreich und Großbritannien zunehmend besorgt über die aggressiven Versuche Deutschlands, als Weltmacht zu konkurrieren." Eine absolut korrekte Darstellung - aber vollständig? Zugunsten simpler Thesen fallen die IWM-Historiker hinter den Forschungsstand brillanter angelsächsischer Kenner des Krieges und seiner Vorgeschichte zurück.

"Aus Sicht jeder der Nationen schien dies ein Krieg der nationalen Selbstverteidigung zu sein", schreibt beispielsweise der keiner übermäßigen Sympathien für Deutschland verdächtige Oxforder Militärhistoriker Hew Strachan. Vom deutschen Einkreisungskomplex, von den tiefen Gegensätzen im Habsburgerreich, von der Despotie des russischen Zarenreiches ist in der Schau keine Rede. Dabei urteilt Strachan unverblümt: "Wien, nicht Berlin, löste die Krise aus, die zum Krieg führte. Das geschah nach umfassender Überlegung, aber der geplante Krieg war ein Balkankonflikt, kein Krieg um die Welt."

Kriegsrezeption ausgeblendet

Solcherlei Zwischentöne bleiben weitgehend ausgeblendet, ebenso wie die vernehmlichen Zweifel am Sinn des millionenfachen Schlachtens, die doch das Geschichtsbild vieler Europäer prägen. Geschickt haben sich die Kuratoren auf die vier Jahre von 1914 bis 1918 beschränkt. Die komplizierte Rezeption des Krieges bleibt ausgeblendet. Dabei ist auch auf der Insel die Debatte über Sinn und Unsinn des Krieges über Jahrzehnte hinweg leidenschaftlich geführt worden. Die Gedichte des im Krieg getöteten Wilfred Owen und anderer trugen bei zur weitverbreiteten Wahrnehmung des Konflikts als sinnlose Schlachterei, bei der ein unfähiges Offizierskorps Millionen Freiwilliger in den sicheren Tod schickte.

Ob man den überwiegend jungen Besuchern, die Tag für Tag schulklassenweise durch das Museum geschleust werden, die Vielschichtigkeit der Geschichte ersparen wollte? Immerhin mahnte der einflussreiche frühere Bildungsminister Michael Gove kürzlich an, man solle zum Gedenken an den Weltkrieg vor allem britische "Vornehmheit und Mut" herausstreichen. Dieser Versuchung sind die IWM-Macher erlegen, statt, wie von der Kanadierin MacMillan erhofft, "die nationale Geschichtssicht hinter uns zu lassen". Schade drum. (Sebastian Borger, DER STANDARD, 18.7.2014)