Regensburg - Ein europäisches Team von Physikern hat das ultraschnelle Zusammenspiel von Elektronen und Kristallgitterstrukturen von Festkörpern genauer untersucht. Dabei gelang es den Forschern, ein vierzig Jahre altes Rätsel der Festkörperphysik lösen: Bisher war man der Ansicht, dass Supraleitfähigkeit und sogenannte Ladungsdichtewellen miteinander konkurrieren. Wie sich aber zeigte, wird das Phänomen durch ein kooperatives Zusammenspiel des Kristallgitters mit den Elektronen verursacht.

In Festkörper können bisweilen spontane Ordnungsphänomene auftreten. Eines der faszinierendsten ist die Supraleitung. Nahe am absoluten Temperaturnullpunkt verbinden sich hier Elektronen spontan zu Paaren, die elektrischen Strom verlustfrei transportieren können. Um diese einzigartige Eigenschaft für die Stromtrassen der Zukunft nutzen zu können, muss man aber die treibenden Kräfte dieses Quanteneffekts genau verstehen.

Riesige Welle im Elektronensee

Titandiselenid ist dabei ein besonders genau untersuchtes Modellsystem. Neben der Supraleitfähigkeit tritt hier ein eng verwandtes Ordnungsphänomen auf: eine Ladungsdichtewelle. Während die Elektronenpaare in Supraleitern einen See von widerstandslos verschiebbaren Teilchen bilden, ist die Ladungsdichtewelle wie eine riesige Welle im Elektronensee. Nach bisherigem Wissensstand konkurrieren die beiden Phänomene miteinander.

Ziel des europäischen Forscherteams war es, zunächst zu verstehen, weshalb die Ladungsdichtewelle in Titandiselenid auftritt, um so dem Wechselspiel mit der Supraleitung auf die Spur zu kommen. In ihrem Experiment regten die Wissenschafter um Rupert Huber von der Universität Regensburg die Ladungsdichtewelle in einem wenige Atomlagen dünnen Film von Titandiselenid mit Hilfe eines ultrakurzen Lichtblitzes von einer Zeitdauer von nur wenigen Femtosekunden an. Eine Femtosekunde ist der millionste Teil einer Millardstel Sekunde.

Zeitlupenfilm einer Ladungsdichtewelle

Mit einem nachfolgenden Lichtimpuls im Terahertz-Spektralbereich konnten die Physiker dann eine Art superschnellen Zeitlupenfilm davon anfertigen, wie die Ladungsdichtewelle gestört wird und sich anschließend wieder neu aufbaut. Das Besondere war dabei, dass die Terahertz-Impulse erstmals sowohl die Wellenordnung der Elektronen als auch die damit verbundene leichte Verzerrung des Kristallgitters beobachten konnten.

Überraschenderweise reagieren die beiden Komponenten auf Bestrahlung mit einem Femtosekunden-Laserimpuls höchst unterschiedlich. Während die elektronische Ordnung durch den Laserimpuls vollkommen zerstört werden kann, zeigt sich die Verzerrung des Kristallgitters deutlich robuster gegen optisches Störfeuer. Die Femtosekunden-Zeitlupe zeigt erstmals eindeutig, dass die Wellen im Elektronensee von Titandiselenid durch ein kooperatives Zusammenspiel des Kristallgitters mit den Elektronen verursacht werden. Dieses Bild wird auch durch eine quantenmechanische Theorie gestützt.

Vierzig Jahre altes Geheimnis der Festkörperphysik

Die Zusammenarbeit der Forscher von den Universitäten Regensburg, Ilmenau, Kiel, Bielefeld und Heraklion konnte somit ein etwa vierzig Jahre altes Geheimnis der Festkörperphysik lüften. Auch die neue Methode, in superschnellen Zeitlupenfilmen gleich mehrere Ordnungen und deren Dynamik zu beobachten, dürfte entscheidend für ein besseres Verständnis der Supraleitung und vieler anderer überraschender Ordnungsphänomene in Festkörpern werden. (red, derStandard.at, 26.07.2014)