Oben: Ein Deformierendes kupferhaltiges Geschoss; der Schusskanal mit zunehmender Krafteinwirkung (A bis D) zeigt nur kleine Fragmente (gelbe Pfeile) angezeigt. Ein regelrechte Splitterwolke ist nicht vorhanden.

Unten: Ein Deformierendes bleihaltiges Geschoss. Die Aufnahmen zeigen deutlich die fatalen Splitterwolken.

Foto: Felix Gremse

Berlin - Das Blei in der Munition ist nicht nur für die tierischen Opfer der Jagd tödlich. Finden etwa Fleischfresser und Aasvertilger geschossenes Wild, das nicht oder nicht rechtzeitig vom Jäger geborgen wird, dann sterben viele von ihnen an einer Bleivergiftung. Es gäbe auch alternative Materialien für Projektile, doch viele Jäger halten deren Eigenschaften für unzureichend. Eine neue Studie zur Zielballistik bleihaltiger und bleifreier Geschosse zeigt, dass beide Geschossmaterialien gleichermaßen für eine tierschutzgerechte Jagd geeignet sind. Bleifreie Geschosse hinterlassen sogar kleinere Splitterwolken als bleihaltige.

In einer zielballistischen Untersuchung haben Forscher des Universitätsklinikums der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH), des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung Berlin (IZW) und der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) das Verhalten von Projektilen beim Auftreffen, Eindringen oder Durchdringen eines Ziels analysiert. Die Ergebnisse der Studie wurden jetzt im Fachblatt "PLOS ONE" publiziert.

Alternativmaterial erzeugt weniger Splitter

Der detaillierter Vergleich zeigte, dass sich bleifreie Geschosse in ihrem zielbalistischen Verhalten unterschieden. Eine der bleifreien Geschosskonstruktionen (Deformationsgeschoss) wies ein zielballistisches Verhalten auf, das dem des bleihaltigen Referenzgeschosses entsprach. Ferner beobachteten die Wissenschafter, dass sich beim Beschuss mit bleihaltiger Munition hunderte kleinster Bleisplitter ausbreiten, während bei bleifreien Geschossen nur wenige Splitter entstehen.

Für ihren Versuch verglichen die Wissenschafter zielballistische Daten von vier handelsüblichen Jagdgeschossen – eines davon mit Bleikern und drei aus homogenen Kupferlegierungen. Die Geschosse wurden mit für den Jagdeinsatz repräsentativen Geschwindigkeiten in je einen Block ballistischer Seife geschossen. Jeder Seifenblock wurde einmal beschossen und mit zwei verschiedenen Messverfahren untersucht.

Nach dem Beschuss wurde jeder Seifenblock im Computertomographen (CT) vermessen und mit einer an der RWTH entwickelten Software ausgewertet. Das bildgebende CT-Verfahren erfasst den entstandenen Hohlraum (Schusskanal) und Parameter wie beispielsweise Volumen, Schadenstiefe und Geschossabweichungswinkel. Darüber hinaus können Geschossabsplitterungen gezählt und dreidimensional dargestellt werden. Anschließend wurde jeder Block nach einem üblichen Standardverfahren der Länge nach aufgeschnitten fotografiert und vermessen.

Die Ergebnisse beider Verfahren wiesen eine hohe Übereinstimmung auf. Das computertomographische Verfahren vermeidet jedoch das aufwendige Zerschneiden des Seifenblockes und liefert zusätzliche Informationen, so dass neue bleifreie Geschosskonstruktionen besser auf ihre jagdliche Verwendbarkeit überprüft werden können.

Bleivergiftungen eine der häufigsten Todesursachen unter Greifvögeln

Seit der Antike ist die Giftigkeit von Blei bekannt, heute gehört es zu den bekanntesten Umweltschadstoffen. Bleihaltige Munition wirkt sich stark auf Mensch, Tier und Umwelt aus. Zurzeit ist der Eintrag von Blei durch Bleimunition (geschätzt mehrere Tonnen im Jahr) in die Umwelt gewaltig. Es genügen bereits geringe Spuren von Bleiabrieb oder kleine Bleisplitter, um als Gift in Organismen zu wirken. Besonders für Tiere, die am Ende der Nahrungskette stehen, wie beispielsweise Greifvögel und Aasfresser, insbesondere beim Seeadler, gehören Bleivergiftungen zu den häufigsten Todesursachen. Beim Menschen wirken geringe Bleimengen toxisch und können das zentrale Nervensystem schädigen. Insbesondere bei Kindern führt die Aufnahme von Blei zu Entwicklungsstörungen.

"Die Ergebnisse unserer Studie sind ein weiterer Erkenntnisschritt auf dem Weg zum Verzicht auf Blei in Jagdgeschossen. Dieser Prozess läuft bereits seit über zehn Jahren und wird gemeinsam von Politik, Jägerschaft und Forschungseinrichtungen getragen", berichtet Carl Gremse, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Die nun erzielten Forschungsergebnisse bieten eine solide Basis für politische und für private Entscheidungen hinsichtlich der Verwendung von bleifreier Jagdmunition. (red, derStandard.at, 27.07.2014)