Eine neue Küche der Berge formulieren: Spitzenköche aus Slowenien, Peru, Chile und Italien unterwegs in den Dolomiten, auf der Suche nach autochthonen Aromen.

Fotos: Cook the mountain

Große Köche für hohe Berge (von links): Virgilio Martínez vom Central in Lima, Rodolfo Guzman vom Boragó in Santiago de Chile, Eleonora Cunaccia vom Primitivizia in Spiazzo Trento, Roland Trettl aus Südtirol (derzeit ohne Restaurant), Norbert Niederkofler vom Rosa Alpina in San Cassiano, Giancarlo Morelli vom Pomireu in Seregno, Ana Ros vom Hisa Franko in Kobarid und Josean Alija vom Nerua Guggenheim in Bilbao.

Fotos: Cook the mountain

Geschmortes Rippenstück vom lokalen Rind mit Brennesselpüree und frittiertem Zwiebel.

Fotos: Georges Desrues

Wilder Radicchio ...

Fotos: cook the mountain

... und andere Gebirgskräuter.

Fotos: Cook the mountain

Ein Dessert aus Joghurt, Mais und Weizengras.

Fotos: Georges Desrues

Norbert Niederkofler ist ein Bekehrter. Vor einigen Jahren schon hat der Sternekoch vom Rosa Alpina im Hochabteital erkannt, dass es heutzutage nur noch wenig Sinn hat, seiner internationalen Gästeschar in einem Südtiroler Bergdorf Gerichte vorzusetzen, die diese zu Hause und überall sonst genauso gut bestellen könnte. Also hat er umgestellt, aus der Speisekarte seines Zwei-Sterne-Restaurants Gänseleber, Jakobsmuscheln und Scampi gestrichen und stattdessen ganz auf Bergmilchbutter, Wipptaler Lammbratl und Birkenfond gesetzt. "Es war alles andere als einfach", sagt Niederkofler, "auf bestehende Systeme und Lieferanten zu verzichten und alles neu aufzubauen. Aber der Aufwand hat sich gelohnt."

Tatsächlich muss man als Spitzenkoch in einer Welt, in der so gut wie alles überall und ständig erhältlich ist, mehr denn je darauf achten, wahrhaft Einzigartiges zu bieten. Also bezieht Niederkofler seine Lebensmittel inzwischen fast ausschließlich aus seiner Südtiroler Bergheimat, von Bauern, Erzeugern und Sammlern aus unmittelbarer Umgebung - und entspricht damit einem Trend, der in den letzten Jahren vom Nordkap bis Patagonien die Luxusrestaurants dieser Welt erobert hat.

Direkte Zusammenarbeit mit den Erzeugern

Niederkofler geht aber noch einen Schritt weiter: Weil es natürlich sehr aufwändig ist, Lebensmittel in richtig guter Qualität unter den oft widrigen Bedingungen der Bergwelt herzustellen, muss er auch bereit sein, einen entsprechenden Preis zu zahlen. "Ich habe mich deshalb darauf verlegt, ganz direkt mit den Erzeugern zusammenzuarbeiten. Gemeinsam evaluieren wir, wie sich die Dinge in wirklich herausragender Qualität machen lassen. Klar ist das mühsam, aber dadurch kann ich die Zwischenhändler ausschalten und den Bauern einen deutlich besseren Preis zahlen."

Doch wie das so ist mit Trends, ist auch von diesem stark anzunehmen, dass er irgendwann sein Ende finden wird. Wodurch sich die Frage nach dem Danach aufdrängt. Was wird sein, wenn das Regionale aus der Mode kommt? Etwa gar die Wiederkehr der Fusion-Küche? "Ich kann mir gut vorstellen, dass es dann vor allem in Städten ein Comeback der Fusion geben wird", antwortet Niederkofler, "aber in Gegenden wie der unseren wird das Regionale bleiben." Zu sehr sei das Erleben lokaler Küchenstile heute integrativer Teil des Reisens, des Erfahrens einer Gegend, als dass es eine Rückkehr geben könnte zu internationalen und austauschbaren Delikatessen.

Und dann ist da noch der ökologisch-kulturelle Aspekt der Rückbesinnung auf die Südtiroler Wurzeln und sonstige Lebensmittel der Bergregion. "Wir wollen Südtirol eine neue kulinarische Identität geben", so Niederkofler selbstbewusst. Dazu hat er das interkontinentale Projekt Cook The Mountain ins Leben gerufen, bei dem sich Köche aus verschiedenen Bergregionen dieser Welt treffen, um Erfahrungen auszutauschen im Umgang mit Naturalien aus zum Teil schwindelerregenden Seehöhen. Und um gemeinsam an der Bewahrung ihrer Lebensräume zu arbeiten, die sie nur allzu oft bedroht sehen durch Massentourismus und Ausbeutung von Bodenschätzen.

Cook The Mountain

Ende Juni traf sich die Gruppe erstmals in Niederkoflers Wirkungsstätte Sankt Kassian am Fuße der imposanten Felsformationen der Fanesgruppe in den Südtiroler Dolomiten. Unter der Führung der Trentinerin Eleonora Cunaccia vom Restaurant Primitivizia, die in Italien wegen ihres Wissens um die alpine Flora auch als Druidin unter den Chefs oder als Signora der Gipfel bekannt ist, wanderte man durch die Berge, sammelte Kräuter und Pflanzen, speiste in einer Berghütte auf mehr als 2000 Metern zu Mittag und kochte zum Nachtmahl Gerichte aus der jeweiligen Heimat.

So bereitete etwa der peruanische Jungstar Virgilio Martínez Veliz (Central, Lima) eine Variante des Nationalgerichts Ceviche - also roh marinierten Fisches - aus Südtiroler Zander, Limetten-Fond und andinem Fluss-Seegras. Während die Slowenin Ana Ros (Hisa Franko, Kobarid) ebenfalls auf Fisch setzte und eine Forelle servierte, die aus dem Sturzbach hinter ihrem Haus stammt und mit Rüben, Wurzeln und Kräutern aus dem eigenen Garten angerichtet wurde. "Ich hoffe sehr, dass die Idee auch in Slowenien Anklang findet", sagt Ros, "bei uns gibt es zwar viele Berge, die Produkte daraus werden aber bisher nur sehr gering geschätzt."

Im Bann der Berge

"Wir Menschen aus Bergregionen gleichen uns alle und unterscheiden uns von allen anderen", beteuert Gastgeber Niederkofler, "wir fühlen uns von den Bergen eingeschränkt und beschützt zugleich, wodurch ein sehr ähnlicher Menschenschlag entsteht, der es gelernt hat, mit extremen Bedingungen umzugehen." Als Beispiel brauche man nur die Peruaner hernehmen, die ihre Kartoffeln seit Jahrhunderten in den Höhenlagen der Anden zwischen Steinen gefriertrocknen, um sie haltbar zu machen.

"Bei uns in den Alpen hat man früher Kartoffeln angebaut, in dem man sie auf Steine und Felsen legte und mit Erde bedeckte, um die Weiden für das Vieh freizuhalten, und weil die Steine die Wärme der Sonne speicherten, was das Wachstum förderte", sagt Niederkofler und nennt als weiteres Beispiel für länderüberschreitende Bergkulturen den Urtiroler Graukäse, der einst nur im Sommer und auf der Alm aus den Resten der Milch nach der Butterherstellung erzeugt wurde - und für den es in Bhutan ein Pendant aus Yak-Milch gebe.

Stellt sich nur die Frage, warum bei dem internationalen Bergfex-Treffen so nahe der österreichischen Grenze ausgerechnet und bedauerlicherweise die Vertreter aus dem Land der Berge, dem Mutterland der Ski- und Berghüttengastronomie, der Heimat von Tiefkühlgermknödeln, von Punsch- und Jagatee-Konzentrat, fehlten? "Das hat keinerlei Bedeutung", sagt Niederkofler, "wir hatten Heinz Reitbauer und Andreas Döllerer eingeladen, nur war der eine mit dem Umbau des Steirerecks beschäftigt, und der andere machte gerade Familienurlaub." Beim nächsten Cook The Mountain aber, so beteuert der Südtiroler, solle mit Sicherheit auch Österreich vertreten sein. (Georges Desrues, Rondo, DER STANDARD, 25.7.2014)