Diese Woche liegt das Epizentrum der größten Pandemie unserer Epoche in Melbourne. Dort versammeln sich Experten, um zu überlegen, wie man der HIV-Hydra ihre vielen Köpfe abschlagen kann: Wie können wir 1,6 Millionen Tote pro Jahr verhindern? Wie können wir sicherstellen, dass kein Baby mehr mit HIV auf die Welt kommt? Wie können wir antiretrovirale Behandlungen zu den 16 Millionen Menschen bringen, die Therapien benötigen? Kurzum: Wie können wir den Kampf gegen HIV verstärken, um die Fortschritte der letzten 20 Jahre zu nutzen?

Es ist nicht so einfach. Denn die bisher größte gesundheitspolitische Anstrengung in der Geschichte der Menschheit betrifft hauptsächlich afrikanische Länder - deren desolate Gesundheitssysteme der Aufgabe nicht gewachsen sind. In Malawi, wo ich arbeite, sind zwei Drittel der Stellen im Gesundheitssektor nicht besetzt, weil es an Ärzten, Pflegepersonal und Labortechnikern fehlt. Und in Kinshasa stirbt jeder zehnte HIV-positive Patient innerhalb von zwei Tagen nach dem Eintreffen in der Klinik von Ärzte ohne Grenzen: Diese Menschen sind bereits zu krank, um noch von der antiretroviralen Behandlung zu profitieren, die sie zuvor nirgendwo finden konnten. Dies bei einem Leiden, das man wie andere chronische Krankheiten in sein Leben integrieren kann.

Was wir also brauchen, ist eine Revolution beim Zugang zur Behandlung. Ansonsten werden die Fortschritte zunichtegemacht, und das Ziel wird verfehlt: Aids zu stoppen. Einen der vielversprechendsten Ansätze bilden sogenannte "community models": gemeindebasierte Behandlungsmodelle, die auf die Bedürfnisse in Regionen eingehen, in denen die Pandemie am härtesten zuschlägt. Ein Patient, dessen antiretrovirale Therapie gut funktioniert, braucht keine monatliche ärztliche Untersuchung. Er braucht nur seine tägliche Pille.

Warum sollte man die Behandlung also nicht näher zu den Patienten bringen? Warum lässt man die Menschen sich nicht in Selbsthilfegruppen organisieren, deren Mitglieder die Medikamente abwechselnd für alle aus den Kliniken abholen können? Die Idee ist so einfach. Doch sie verändert alles: Ärzte ohne Grenzen hat unterschiedliche gemeindebasierte Modelle getestet, und es hat sich gezeigt, dass bei allen die Belastung für die Patienten deutlich zurückging. Zugleich erlauben sie es dem Gesundheitspersonal, mehr betroffene Menschen auf antiretrovirale Behandlungen zu setzen.

Spektakuläre Erfolge

Dieses Ergebnis ist spektakulär. Früher hörte ein Drittel der Patienten innerhalb von drei Jahren mit der antiretroviralen Behandlung auf, weil sie zwischen langfristiger Gesundheit oder kurzfristigem wirtschaftlichem Überleben wählen mussten. Versetzen Sie sich in die Lage einer HIV-positiven schwangeren Frau in Lesotho: Wenn Ihr Nachbar Sie nicht auf seinem Pony mitnimmt, sind Sie selbst nicht in der Lage, stundenlang über verschneite Berge zu marschieren, um in der nächsten Klinik Ihre Medikamente abzuholen. Also bleiben Sie zu Hause, und Ihr Baby kommt eventuell HIV-positiv auf die Welt.

Mehr als 90 Prozent der Patienten, die Ärzte ohne Grenzen im Rahmen gemeindebasierter Behandlungsmodelle in Mosambik, Südafrika und sogar in der Demokratischen Republik Kongo behandelt - wo die HIV-Behandlungsergebnisse besonders besorgniserregend sind -, waren nach zwei bis vier Jahren immer noch in Behandlung. Der Grund ist einfach: Die Behandlung wurde näher zu ihnen gebracht.

Um dieses Modell zu realisieren, braucht es einen kühnen Entschluss: Die Organisation der Behandlung muss in vielen afrikanischen Ländern revolutioniert werden. Die erste HIV-Revolution war die Senkung der Medikamentenpreise. Die zweite Revolution hat die Behandlung vereinfacht: auf eine einzige Pille pro Tag. Meine Patienten brauchen jetzt dringend eine dritte Revolution: die Umorganisierung der Behandlung. Denn nur wenn Menschen ihre Behandlung fortsetzen können, bleiben sie gesund, und nur so bleibt auch das Risiko der Übertragung des Virus auf andere Personen gering. Wir brauchen eine Revolution, die den Menschen endlich erlaubt, normal weiterzuleben - trotz HIV. (Daniela Belén Garone, DER STANDARD, 23.7.2014)