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Der italienische Innenminister Alfano will Europa die "Augen öffnen"

Foto: apa/ALESSANDRO DI MEO

STANDARD: Italien versucht jetzt, während der EU-Ratspräsidentschaft, für seine Operation "Mare Nostrum" politische Unterstützung und Finanzmittel zu finden ...

Alfano: Es geht es darum, Europa die Augen zu öffnen: In diesem Moment steht Europa vor dem Problem eines veritablen Exodus aus Afrika. Da geht es nicht um Wirtschaftsmigranten, sondern um Frauen, Männer und Kinder, die vor Krieg und Verfolgung flüchten. Wir wollen Europa dazu drängen, eine umfassende Strategie zu entwickeln, die sich gegen diese Händler des Todes richtet.

STANDARD: Sie meinen mit "Händler des Todes" die Schlepper?

Alfano: Ja, deren Aktivitäten sind eine fürchterliche und extrem makabre Form eines Reisebüros. Auf hoher See sterben sehr viele Menschen, die Überfahrt erfolgt nach keinerlei Sicherheitsprinzipien. Europa muss sich dieser Tatsachen bewusst werden.

STANDARD: Was soll Europa tun?

Alfano: Europa soll die Grenzen Europas überwachen und verteidigen. Noch nie zuvor ist es geschehen, dass eine Staatenunion die Binnengrenzen abschafft - wie es mit Schengen passierte - und dass dann die Außengrenzen nicht mehr verteidigt werden. Wenn der Grenzschutz funktioniert, dann können wir die Leben jener retten, die vor Krieg und Verfolgung flüchten. Europa muss diesem Problem nicht nur mit einer Notfalllogik begegnen, sondern auch mit dem Bewusstsein, dass sich nicht alles bis morgen früh lösen lässt. Wir brauchen einen umfassenden Zugang.

STANDARD: Wie soll der aussehen?

Alfano: Wir propagieren einen Aktionsplan auf drei Ebenen: Schauplatz Afrika - Grenze - Aufnahme in den europäischen Ländern. In Afrika, Punkt eins, muss man mit jenen Ländern kooperieren, aus denen die Flüchtlinge über das Meer aufbrechen. In Libyen etwa ist die Instabilität der Grund dafür, dass so viele Menschen das Land ungehindert durchqueren können, um dann Richtung Europa aufzubrechen. Wir brauchen einen internationalen Generalplan, um Libyen zu stabilisieren.

STANDARD: Wie können Sie Libyen her konkret helfen?

Alfano: Wir sind zur Zusammenarbeit im Polizeibereich bereit. Wir sind auch in der Lage zu helfen, wenn es um die Ausbildung von Behördenkompetenzen geht. Wir hoffen, dass sich die Institutionen in Libyen rasch stabilisieren. Wir sind bereit, unsere Rolle zu spielen, die uns durch die geografische Lage zugekommen ist.

STANDARD: Und die zweite Ebene?

Alfano: Wir ersuchen die Frontex, die Grenzschutzaufgaben in Südeuropa zu übernehmen. Zurzeit wird dies den einzelnen Ländern an den Außengrenzen aufgebürdet. Unsere Operation "Mare Nostrum" kostet den italienischen Staat jährlich etwa 100 Millionen. Das Frontex-Budget beläuft sich auf 80 Millionen. Allein schon dieser Vergleich ist ein Beweis dafür, dass das Thema Grenzschutz für die EU keine Priorität darstellt. Der Schutz der Außengrenzen soll aber Priorität der EU-Kommission werden. Und dann schließlich, auf der dritten Ebene: Italien ist dabei, ein System für die Aufnahme von Flüchtlingen umzusetzen, das auf staatlicher, regionaler und lokaler Eben greift.

STANDARD: Ihre Amtskollegin Johanna Mikl-Leitner hat kürzlich das "Save Lives Project" präsentiert. Dem zufolge soll etwa das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR bereits in Drittländern Namenslisten "geeigneter" Personen erstellen. Was halten Sie davon?

Alfano: Wir unterstützen diese Initiative, weil sie genau jene Voraussetzungen schaffen würde, von denen ich schon gesprochen habe. Ich hoffe, dass wir während der italienischen EU-Ratspräsidentschaft einige Zwischenziele auf dem Weg dorthin erreichen können. Wir müssen die Attraktivität von Menschenschmuggel reduzieren. Die Schlepper müssen individuell erfasst und bekämpft werden. Der Vorschlag Italiens ist es, auf internationaler Ebene zu operieren - mit einem Modell, das wir bereits mit einigem Erfolg im Kampf gegen das organisierte Verbrechen eingesetzt haben.

STANDARD: Sie meinen eine internationale Anti-Mafia-Operation?

Alfano: Genau, und zwar eine mit zwei Stroßrichtungen: zunächst die Beschlagnahmung der Güter - also der Boote, Schiffe und anderer Ausrüstung. Und dann muss man ihre Geldströme aufspüren, sie an der Geldwäsche hindern. Ein solcher Ansatz benötigt natürlich die Mitarbeit mehrerer Staaten, aber auch externer und unabhängiger Organisationen. (Gianluca Wallisch, DER STANDARD, 23.7.2014)