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Ausgeklügelte Konstruktion, die die Kraft der Sonne in chemischen Verbindungen speichert: Die Menschen können vom Energiehaushalt der Natur noch viel lernen.

Foto: APA/EPA/HOLGER HOLLEMANN

Wien/Linz/Villach - Ein Haus, das wie ein biologischer Organismus funktioniert. Dessen organische Außenhülle Sonnen- und Windenergie auffängt und verwertet. Das ähnlich der Kapillarwirkung von Bäumen Wasser aus dem Boden bezieht. Das Energie in verschiedenen Formen nutzt, bevorzugt aber analog zu natürlichen Organismen in Form von biochemischen Stoffwechselprodukten, etwa Zucker oder Salzen.

So sieht die Vision von Peter Piccottini aus. Der Leiter des Master-Studiengangs Bionik/Biomimetics in Energy Systems der FH Kärnten möchte im Zuge eines Forschungsprojekts bereits 2016 den Spatenstich zu einem Haus setzen, das sich jene Energiesysteme zum Vorbild nimmt, die die Erde in Milliarden Jahre langer Evolution entwickelt hat.

"Das nächste Zeitalter ist ein biologisches", sagt Piccottini und verweist auf die ungeheure Energieverschwendung konventioneller Technik: "Ein Auto muss eine Leistung von mehr als 100 Kilowatt aufbringen, und es kann damit nur fahren und transportieren. Der Organismus des Menschen mit einem viel breiteren Leistungsspektrum benötigt dagegen lediglich 100 Watt und eine Prozesstemperatur von 36 Grad." Mit der Entwicklung eines bionischen Hauses soll versucht werden, die Systeme der Natur mit ihren energiesparenden Lösungen in die menschengemachte Technik zu integrieren - so gut es der derzeitige Stand der Wissenschaft eben erlaubt.

Zukunftsweisende Ideen gibt es viele: Piccottini spricht von Textilien, die das von Plankton oder Glühwürmchen bekannte Prinzip der Biolumineszenz nutzen und nachts Licht von sich geben. Mit einem entsprechenden Farbstoff bedruckte Stoffe könnten sich tagsüber aufladen und nachts in natürlichem Licht erstrahlen. Natürliche Rohstoffe wie Lehm und Schilf, die bereits bei den alten Ägyptern für angenehme Wohnraumtemperaturen sorgten, könnten zum Einsatz kommen.

Energie aus verschiedenen Quellen soll vor allem in Latentwärmespeichern gebunden werden. Sie bestehen etwa aus speziellen Salzen, die thermische Energie besonders verlustarm aufnehmen und abgeben können. Handelsübliche Handwärmer, die sich erhitzen, wenn man sie knickt, basieren beispielsweise auf diesem Prinzip.

Die Verteilung der Energie könnte wie in der Natur funktionieren: "So wie große Bäume mehr Nährstoffe produzieren und sie über das Waldbodennetz an ihre Nachbarn weitergeben, könnten Häuser, die mehr Energie umwandeln, Überschüsse in ein frei zugängliches Speichersystem ablegen." In der Natur sorge diese Kooperation für gemeinsames Wachstum und Energie im Überfluss. Die Größe eines solchen Systems könnte man frei skalieren: eine Siedlung, eine Stadt, ein ganzer Planet; irgendwann könnte man vielleicht den Erdboden selbst nicht nur als Energieträger, sondern auch als Speicher für Salze nutzen, glaubt Piccottini: "Die gesamte Natriumkette steht dabei zum Beispiel zur Verfügung."

Künstliche Fotosynthese

Eine Schlüsseltechnik, die die Natur zur Energiegewinnung und -speicherung verwendet, ist die Fotosynthese. Serdar Sariçiftçi, Wittgenstein-Preisträger und im Bereich der Materialwissenschaften einer der weltweit einflussreichsten Forscher, möchte dieses Prinzip in den Dienst des Menschen stellen. Der Leiter des Instituts für Physikalische Chemie und des Instituts für Organische Solarzellen (LIOS) an der Johannes-Kepler-Universität in Linz ist sich sicher, dass mit einer derartigen Technologie alle Energieprobleme der Menschen zu lösen sind. "Yes, we can!", sagt Sariçiftçi im Gespräch mit dem STANDARD.

Die Menschen verwenden Sonnenenergie, um elektrischen Strom oder Wärme zu erzeugen. "Die Natur macht keines von beiden", sagt der Wissenschafter. "Die Natur nimmt das CO2 aus der Luft und das Wasser aus dem Boden und speichert die Energie der Sonne in chemischen Verbindungen." Dass die Natur Kohlenwasserstoffe mit ihrer hohen Energiedichte ausgesucht hat, sei kein Zufall. Warum also nicht die Überschüsse aus Solarenergiesystemen sofort direkt in chemische Energie umwandeln? Warum nicht das CO2, das der Erde in Form von Klimaerwärmung so viele Probleme bereitet, recyceln und mithilfe der Sonne in künstliches Erdgas verwandeln?

Die Technologie für eine derartige Umwandlung existiert bereits. Mithilfe von Überschussstrom könne man Wasser per Elektrolyse in Sauerstoff und Wasserstoff umwandeln, den schwierig handhabbaren Wasserstoff könne man mit CO2 zu Methan reagieren lassen. "Dass sie nicht stärker genutzt wird, liegt an der Wirtschaftlichkeit und den machtpolitischen Interessen der Energiekonzerne", sagt Sariçiftçi.

Immerhin sind in derartigen Power-to-Gas-Anlagen noch hoher Druck und hohe Temperaturen für die Kohlenwasserstoffsynthese notwendig. Jede Pflanze arbeitet dagegen sanft und gezielt bei Normaldruck und -temperaturen, um die Energie im Zuge der Fotosynthese in Form von Glukose zu speichern.

Die Wasserspaltung funktioniert hier bei normaler Lichteinstrahlung und ohne elektrischen Strom. Und Pflanzen produzieren auch keinen explosiven Wasserstoff, sondern binden ihn an spezielle Transportmoleküle. "Was wir wollen, ist so elegant wie möglich an die Natur heranzukommen", sagt Sariçiftçi. Bisher habe man aber noch nicht einmal alle Details dieser natürlichen Prozesse verstanden. Die einfachen wie brutalen "heat and beat"-Technologien des Menschen sind noch weit davon entfernt, etwas Ähnliches zu konstruieren: "Wenn die Natur ein moderner High-End-Prozessor wäre, dann rechneten wir noch mit einem Abakus."

Dennoch: Irgendwann sei es vielleicht möglich, nicht nur Methan oder Benzin, sondern ganz selektiv eine ganze Menge von Kohlenstoffverbindungen von Plastik bis zu Pharmaprodukten gezielt unter Lichtzufuhr aus CO2 herstellen zu können. Die Forschung müsste sich auf die Suche nach den entsprechenden Katalysatoren für die Wasserspaltung und die weiteren Umwandlungsprozesse machen. Man werde CO2 dann nicht mehr als schädliches Produkt, sondern als "neues Erdöl" betrachten.

Schlüssel zur Zukunft

So naheliegend die Orientierung an den eleganten Energielösungen der Natur erscheinen mag, im Vergleich zum Ausbau der konventionellen Techniken werde ihnen wenig Aufmerksamkeit geschenkt, konstatiert Piccottini von der FH Kärnten. Auch und vor allem in Österreich, wo die letzten Jahre gezeigt hätten, dass für größere Initiativen im Bereich Bionik kein Geld vorhanden sei. "Wir beschäftigen uns einfach mit der falschen Technologie. Jene, die die Schlüssel zur Zukunft bergen, lassen wir links liegen." (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 23.7.2014)