Zu "wilden Kannibalen", wie die brasilianischen Ureinwohner von ihren Kolonialherren gesehen wurden, macht uns MDPV zwar nicht - wohl aber aggressiv.

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Vor zwei Jahren wurde die Substanz mit dem sperrigen Namen Methylendioxypyrovaleron mit einem Schlag weltberühmt: Ein Mann schlug in den USA einen Obdachlosen zusammen. Anschließend verspeiste er Teile des Gesichts desselben vor entsetzten Passanten. Er soll unter dem Einfluss der Droge mit der Abkürzung MDPV gestanden sein. Vor kurzem soll sie auf den Partyinseln Ibiza und Mallorca angekommen sein. Nun wird auch in Europa vor der "Kannibalendroge" gewarnt.

"Die Bezeichnung ist lächerlich", sagt Kurosch Yazdi, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin und Leiter des Zentrums für Suchtmedizin an der Landesnervenklinik Wagner-Jauregg in Linz: "Natürlich gibt es keine Droge, die uns zum Kannibalen macht." Hunderttausende Menschen würden MDPV, das zur Gruppe der Amphetamine gehört, weltweit am Tag konsumieren - ohne derartige Folgen.

Aggressionsausbrüche keine Seltenheit

Selbst in den meisten der bekanntgewordenen Fällen ist es nicht zu Kannibalismus gekommen, betont Yazdi: "Ich würde dieses Beißen nicht als Kannibalismus verstehen, sondern als Gewaltakt wie Zuschlagen." Solche Aggressionsausbrüche gebe es auch unter dem Einfluss anderer amphetaminhältiger Substanzen.

Einerseits kommt es dazu, weil man sich unter Einfluss der Stimulanzien unbesiegbar fühlt, gleichzeitig aber intolerant und ungeduldig wird, erklärt der Mediziner. Andererseits kann es auch zu akuten Psychosen mit massiven paranoiden Ängsten kommen: "Dann versucht sich der Betroffene gegen eine subjektiv empfundene Bedrohung zu wehren und greift andere an."

"Nach Abklingen der Drogenpsychose sagen diese Menschen oft glaubhaft, dass sie dachten, die andere Person habe sie zu töten beabsichtigt, und sie hätten sich nur wehren wollen", so Yazdi. Psychische Vorerkrankungen müssen dabei nicht unbedingt vorhanden sein, so der Mediziner: Niemand könne eben im Vorhinein wissen, wie er auf die Substanzen reagiert.

Unkontrollierter Körper

Oft kommt es unter Drogeneinfluss auch zu einem massiven Verwirrtheitszustand. Das kann sich zu einem Zustand körperlicher Übererregung steigern, bei dem der Körper unkontrollierte Bewegungen macht. Für Außenstehende wirken Betroffene dann fast wie Zombies, sagt Yazdi: "Das sieht fürchterlich aus."

Zu solchen Zuständen kommt es bei Mischintoxikation, also wenn mehrere Substanzen - etwa Alkohol, MDPV und Heroin - eingenommen werden, die dann den Stoffwechsel des Gehirns durcheinanderbringen. Daher vermutet Yazdi auch, dass in den bekanntgewordenen Extremfällen mehrere unterschiedliche Substanzen im Spiel waren, und nicht nur MDPV.

Badesalze oder Raumduft

Der harmlos klingende Name Badesalz oder Raumduft, unter dem Substanzen wie MDPV im Internet billig bestellt werden können, bezeichnet eigentlich unterschiedliche Research-Chemicals. Das sind Substanzen, deren molekulare Struktur jener von bereits vorhandenen Drogen sehr ähnlich ist. Diese sind zwar in Österreich verboten, aber in anderen Ländern legal. Oft sind die Pulver mit der Warnung versehen, dass sie "nicht zum Verzehr geeignet" sind - konsumiert werden sie trotzdem, ohne dass man genau weiß, was drinsteckt.

Wie groß die Problematik der Research-Chemicals in Österreich ist, kann Yazdi nicht einschätzen. Die große Anzahl an Händlern, die die Produkte online anbieten, legen aber nahe, dass es sich um ein gutes Geschäft handelt: "Die Dunkelziffer wird hoch sein."

Weitaus häufiger geschehen "schreckliche Gewalttaten" aber unter Einfluss von Crystal Meth, betont Yazdi. Die Problematik dieser Substanz sei in Österreich zudem weitaus größer als jene von MDPV. (Franziska Zoidl, derStandard.at, 28.7.2014)