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Elche also. Elche allein und zu zweit, Elche in Rudeln, Elche in Booten, Elche mit Menschen und Elche mit Fischen. Auf einer Felszeichnung wirkt es gar so, als ob ein Elch einen Lachs knutscht – es scheint die große Liebe zu sein.

Natürlich gibt es berühmtere Steinzeitbilder, in Spanien und in Frankreich etwa. Aber in die Höhle von Altamira dürfen nur fünf Besucher pro Woche, und die von Lascaux kann man überhaupt nur als Nachbildung besichtigen. An den Stromschnellen von Nämforsen in Mittelschweden hingegen liegen nach neuester Zählung nahezu 3000 originale Felszeichnungen „einfach in der Gegend herum“. Mitten in der Natur, ohne Zugangsbeschränkung, ohne Zeitlimit, und noch dazu bei freiem Eintritt.

Kulturhauptstadt-Außenstelle

Es ist wirklich verwunderlich, dass diese prächtige prähistorische Fundstätte nicht von Besuchermassen überrannt wird. Nun gut, sie ist etwas entlegen, aber das sind Altamira und Lascaux auch. Am besten fliegt man nach Umeå, in die Europäische Kulturhauptstadt 2014, und reist zweieinhalb Stunden mit Bus oder Mietwagen nach Sollefteå weiter. Schon auf dem Weg dorthin erlebt man ein Schweden wie aus dem Bilderbuch: endlose Wälder, dazwischen ab und zu einmal ein rotgestrichenes Holzhaus an einem idyllischen See. In Sollefteå selbst empfiehlt es sich, im Hotel Hallstarberget zu übernachten, einem futuristischen Resort mit Spa, von dem aus man einen herrlichen Rundblick über das ganze Tal genießt.

Ein Steinwurf von Sollefteå

Am nächsten Tag kann es dann weitergehen nach Nämforsen, rund 20 Minuten dauert die Fahrt von Sollefteå. In einem entzückenden Museum verschafft man sich den ersten Überblick über die Steinzeit und ihre originären Zeichenkünstler, bevor man dann die Fundstätten selbst besichtigt.

Der Anblick dieser ungewöhnlichen Felszeichnungen – korrekter wäre: Felsritzungen, denn die Bilder wurden mittels eines Quarzes in die Steine geritzt – zaubert jedem Besucher sofort ein Lächeln ins Gesicht. 6000 Jahre sollen diese Figurationen alt sein, und dennoch sprechen sie einen so unmittelbar an, als wären sie erst gestern entstanden – was die ersten misstrauischen Forscher auch vermutet haben.

Die Urahnen der Sprayer

Die 3000 Ritzungen sind auf drei Inseln, Laxön, Bradön und Notön, in den Stromschnellen des Ångermanälven verteilt. Doch wer hat sie gemacht? Ein Vorläufer des Herrn Kyselak, der sich überall verewigt wissen wollte? Oder gar ein Urahn des Sprayers Puber? Ein einzelner Ritzer? Oder ein Ritzerkollektiv? Und warum macht man sich die Mühe, hier mitten in der Wildnis so komplexe – und über die Jahrtausende immer wieder aufgefrischte Bildnisse zu hinterlassen? Es gibt selbstverständlich viele Theorien darüber, und Forscher bekämpfen einander diesbezüglich bis aufs Blut, aber genau genommen weiß es niemand.

Hauptmotiv der Nämforsischen Freiluftgalerie ist wie gesagt der Elch. Was Wissenschafter darauf zurückführen, dass die Mythologie früher Menschen besagt, dass eine Elchkuh die Welt geboren hat und dass der Elchhirsch jeden Tag die Sonne auf seinem Rücken vom Untergang zurück zum Aufgang trägt. Aber es kann sich natürlich auch um eine bloße Abbildung der Lebensrealität der Steinzeitler handeln. Auch auf der Fahrt nach Nämforsen kann man bis heute oft Exemplare dieser edlen und stolzen Tiere beobachten.

Volkszählung mit Booten

Ein paar Menschen gibt’s übrigens auch unter den Ritzungen, allerdings hauptsächlich als Strichmännchen ausgeführt und im Vergleich zu den Elchen deutlich liebloser gestaltet. Und dann wären da noch die vielen Boote. Auch hierbei divergieren die Interpretationen. Transportvehikel ins Jenseits, wie bei den Ägyptern? Oder doch eine Art Volkszählungstatistik? Es finden sich nämlich viele unerklärliche Striche in den Gefährten. Zudem gibt es hier ein Zeichen, das dem chinesischen für „Sonne“ ähnelt – reichte das Reich der Mitte bis nach Schweden? – und mehrere Bumerangs – Aborigines, wart ihr auch hier?

Diese bohrenden, nicht immer ganz ernsthaften Fragen tun aber dem unentwegten Entzücken von Alt und Jung beim Betrachten der rötlichen – letztlich eher an Paul Klee als an Picasso erinnernden – Felsritzungen keinen Abbruch. Denn das Schönste daran ist, dass sie dem Hässlichen trotzen: Seit vielen Jahrzehnten befindet sich hier am Nämforsen auch ein Wasserkraftwerk, das in dieser Umgebung nicht gerade fesch wirkt und einen gewaltigen Lärm macht.

An den Ufern des Ångermanälven leuchten die Elche und Menschen, die Fische und Boote – und natürlich die Bumerangs – aber wie eh und je. Sie scheinen die geräuschvolle Gegenwart mit der stillen Weisheit von 6000-Jährigen geradezu auszulachen. (Robert Quitta, Rondo, DER STANDARD, 25.7.2014)